Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind zwei Studien bezüglich der Wahrnehmung von Wohlstand und Armut: Zum einen wird die geistesgeschichtliche Entwicklung dieser beiden Konzepte aufgezeigt und zum anderen wird eine empirische, kognitionsethnologische Untersuchung über die indigene Sichtweise in Teheran durchgeführt.
Wie sich zeigt, basiert die Wahrnehmung von Wohlstand und Armut bei dem Fallbeispiel in Teheran auf einer wesentlich breiteren Grundlage, als es den Annahmen der mittlerweile Universalität beanspruchenden modernen Wirtschaftsethik entspricht. So konnten neben Vorstellungen des altiranischen Zoroastrismus, des Islam und der Mystik auch viele Elemente antiker Ethiken nachgewiesen werden, die im Westen mit dem Aufkommen der klassischen Nationalökonomie weitestgehend verloren gegangen sind. Auch konnte aufgezeigt werden, daß der wirtschaftlich quantifizierbare Teil von Wohlstand und Armut in Iran wie in den antiken Ethiken immer noch einen eher untergeordneten Stellenwert einnimmt.
Im Ergebnis lassen sich hieraus zwei Schlußfolgerungen ziehen: Erstens kann der gemeinsame geistesgeschichtliche Ursprung für ein besseres interkulturelles Verständnis zwischen Iran und dem Westen herangezogen werden und zweitens kann die iranische Sichtweise von Wohlstand und Armut die aktuelle Wertediskussion zwischen den Kulturen und Religionen bereichern, weil sie auf einem bedeutsamen - wenn auch in Vergessenheit geratenen - Ansatz beruht, der weit mehr beinhaltet, als die konzeptionell stark eingeengte moderne Wirtschaftsethik hergibt.