Theorie und Praxis ökologischer Lebensführung

Konrad Otts „Umweltethik“ als Leitfaden zum rechten Umgang mit der Natur

Von Walter WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Überzeugte Naturschützer, so heißt es auf der Rückseite des Bandes, wüssten immer, weshalb sie sich für ökologische Anliegen engagieren. Tatsächlich entspringen diese Überzeugungen oft tiefen Empfindungen und Ahnungen, die meist einer klaren theoretischen Fundierung entbehren. Konrad Ott hat sich der mühseligen Aufgabe angenommen, das weitläufige Feld der Umweltethik philosophisch auszuleuchten und für späteres Handeln konzeptuell zu umreißen. Die von ihm gezogenen Schlüsse haben dabei meist deskriptiven Charakter und werden nur selten als Maximen ethischer Umweltpraxis anempfohlen.

Den Ausgangspunkt von Otts behutsam entfalteter Ethik bildet die Frage nach dem Sinn von Naturschutz, der er folgende Prämissen zugrunde legt: Natur ist für den Menschen unverzichtbar, weil er ihrer als materielle und psychisch-ästhetische Ressource bedarf und ihr darüber hinaus einen nicht quantifizierbaren intrinsischen Wert zuerkennt, der unabhängig von menschlichen Begehrlichkeiten existiert. Formalsprachlich bezeichnet man die ersten beiden „Gründe“ als anthropozentrisch und letzteren als physiozentrisch. Diese dichotomisch gefassten Begriffe beschreiben ein ökologisches Weltbild, in dessen Zentrum entweder die menschliche Spezies oder die Natur steht, wobei an den jeweiligen Enden die grenzenlose Naturausbeutung beziehungsweise im Gegensatz dazu die völlige Unantastbarkeit der natürlichen Umwelt anzusiedeln ist. In den Argumentationsraum der Umweltethik gehören laut Ott neben den erwähnten anthropozentrischen und physiozentrischen Argumenten auch theozentrische, wonach Natur gemäß einer religiösen Kosmologie als Ort des Heiligen gilt und per se als schützenswert erachtet wird.

Gab es bereits vor dem Aufkommen der „environmental ethics“ zu Beginn der 1970er-Jahre in den USA eine Umweltethik, so reichen die Ursachen der ökologischen Krise weit hinter das Anthropozän zurück, das heißt jene Ära, in der die Dominanz menschlicher Aktivität den gesamten Planeten zu erfassen begann. Gleichwohl ergeben sich die gravierenden Ausprägungen der Naturbeherrschung zwingend aus dem Projekt der Moderne, das wiederum eine säkularisierte Form des biblischen Naturbeherrschungsanspruchs repräsentiert. Diese Hegemonie des anthropozentrischen Utilitarismus beruht auf der irrigen Annahme, dass ein Mehr an Naturunterwerfung ein Mehr an individuellem Glück mit sich bringt, wie eine auf Konsummaximierung und Produktivität abgestellte Ökonomie, die auf intensivem Natur- und Landschaftsverbraucht beruht, über Werbung und Politik glauben machen möchte.

Aber nicht nur mächtige ökonomische Kräfte und Mythen sind für die Umweltschäden verantwortlich, sondern auch die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung der reichen Industrienationen. Der Autor dieser „Umweltethik“ grenzt sich indes betont von der pauschalen Misanthropie mancher environmentalists ab und traut seinen Artgenossen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur zu. Naturschutz ist und bleibt zwar schwer zu vermitteln, weil er Verbote äußert, die unserem liberal-individualistischen Lebensstil entgegenstehen. Dessen ungeachtet darf die Dringlichkeit naturschützender Maßnahmen nicht in Abrede gestellt werden, selbst wenn niemand mit Bestimmtheit angeben kann, wie viel Naturkapital in den verschiedenen Weltregionen und -gesellschaften schon allein im Hinblick auf künftige Generationen erhalten werden soll.

Die besondere Schwierigkeit umweltethischer Reflexion und Argumentation besteht darin, die axiologisch divergenten und zugleich konkurrierenden Ansprüche in Form von Interessen in einen vernünftigen Konsens zu überführen. Einer sentientistischen Denkfigur folgend haben beispielsweise alle empfindungsfähigen Lebewesen ein „Interesse“ daran, zu leben – und daher den gleichen moralischen Selbstwert wie Menschen. In einer biozentrischen Perspektive, wie sie von Albert Schweitzer vertreten wird, besitzt jegliche Form von Leben den gleichen Status. Ökozentrisch gewendet lässt sich der Umweltschutz sogar auf ganze Ökosysteme ausdehnen, während in einer holistischen Weltsicht der unbelebten wie der belebten Natur Selbstwert zukommt. Ott nähert sich diesen kontroversen Theorien mit der gebotenen Offenheit, ohne seine persönliche (gemäßigte) anthropozentrische Position zu verlassen. Immerhin – und in diesem Punkt muss man dem Autor recht geben – haben radikale Umweltethiken bislang keinen realisierbaren politischen Gegenentwurf hervorgebracht.

Auf dem Weg zu einer Umweltethik unternimmt Ott auch einen sprachphilosophischen Exkurs und hinterfragt kritisch die Bandbreite der einschlägigen Diskurse vom Ökonomismus bis zum „Öko-Slang“, um zu postulieren: „[…] in jedem Fall ist Sprachkritik, die niemanden verschont, eine Daueraufgabe der Umweltethik“. „Environmental texts“ beziehungsweise gleichwertige mündliche Äußerungen bilden nämlich axiologisch gefärbte Artikulationen, die mittels einer versatzstückhaften Rhetorik die ,Rechte’ der Natur einfordern beziehungsweise Eingriffe einzuschränken suchen. Dabei zeigt sich, dass nach wie vor der postkoloniale, eurozentrische, weiße Diskurs dominiert, der im Sinne einer transnationalen Umweltethik allerdings den Blick auf „environmentalism of the poor“ nicht verstellen darf. Anders gesagt, die Stimmen der indigenen Völker, der Landlosen, der Frauen in so genannten Entwicklungsländern haben im Hinblick auf Natur- und Umweltschutz vom westlichen Diskurs gehört zu werden.

Otts umfassende Auseinandersetzung mit der Umweltethik erfolgt in einer fundiert philosophischen Perspektive, welche die Praxis nicht außer Acht lässt, und schlüsselt dem gebildeten Leser dankenswerterweise die zentralen Begrifflichkeiten gut verständlich auf, wodurch ein Mit- und Weiterdenken gewährleistet wird. Auf diese Weise werden Theorien vorgestellt und Typologien entworfen, die als Matrix vor allem für literatur- und kulturwissenschaftliche Studien fruchtbar gemacht werden können. In seiner Axiologie der Umweltethik führt er etwa anhand der Trias Wertidealismus, -realismus und -invidualismus in die Problematik antagonistischer Wertbegriffe ein und plädiert dafür, „die basale Errungenschaft des Liberalismus“ beizubehalten, was eine unnötige Bevormundung des Individuums sowie eine Restringierung seines Lebensstils ausschließt. Wo hier allerdings die Grenze zwischen zügelloser ‚Kolonialisierung‘ der natürlichen Umwelt und umweltethisch begründeter Selbstbeschränkung liegt, kann lediglich angedeutet werden.

In seiner Deontologie der Umweltethik kommt Ott daher erneut auf das Selbstwertproblem zu sprechen, das im Wesentlichen die Frage nach der Zugehörigkeit zur „moral community“ stellt. Alltagssprachlich ausgedrückt würde das bedeuten: Wer oder was ist zu schützen? Menschen, Tiere (höhere und/oder niedere), Pflanzen, Landschaften, Ökosysteme und so weiter? Auch in diesem Punkt kann der Autor lediglich Orientierungshilfen bieten, die zwischen Immanuel Kants überzeugtem Anthropozentrismus und der ethischen Gleichwertigkeit aller Lebewesen gemäß den Dogmen des Holismus beziehungsweise Biozentrismus ein breites Spektrum ethischer ‚Angebote‘ skizzieren. Zur Illustrierung des deontologischen Dilemmas, in dem sich jedes sensible, selbstkritische Sujekt befindet, vergleicht Ott die „moral community“ mit einem Schiff, auf dessen Decks sich Passagiere befinden, die entsprechend ihren Plätzen unterschiedliche moralische Ansprüche haben. Daraus resultiert eine „gradierbare“ Umwelt- und Tierethik, die gemäß den Parametern „Wahrnehmungsfähigkeit“ und „Weltoffenheit“ funktional gegliedert ist.

Der Entwurf einer Umweltethik kann naturgemäß nicht ohne den Rekurs auf das jüdisch-christliche Erbe auskommen, den Ott nützt, um dessen überschätzte anthropozentrische Hegemonie zu korrigieren. Der Mensch figuriert demnach nicht nur als Ausbeuter, sondern auch als Pächter der Natur, sodass sich schließlich postulieren lässt: „Eine biblische Lebensführung wäre eine dauernde biophile Wahl zugunsten des Lebens und zuungunsten des Destruktiven.“

Der Autor streift in seiner Einführung auch den seit einigen Jahren stark überstrapazierten Begriff der Nachhaltigkeit, der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus der deutschen Forstwirtschaftslehre entwickelt haben soll. Tatsächlich ist der Ursprung dieser Idee noch früher anzusetzen, denn bereits 1662 wies der englische Diarist John Evelyn in seiner Schrift „Silva, A Discourse of Forest Trees and the Propagation of Timber in His Majesty’s Dominions“ auf die verheerende Praxis des großflächigen Abholzens der englischen Wälder hin, wodurch man den steigenden Holzbedarf der Schifffahrts-, Glas- und Eisenindustrie zu decken versuchte. Im Hinblick auf die Bewahrung und Erhaltung der Biosphäre für die Nachwelt unterscheidet Ott zwischen schwacher Nachhaltigkeit, die eine „summativ-aggregative Erhaltung aller Kapitalbestände einer Gesellschaft“ für ausreichend hält, von einer starken Nachhaltigkeit, die eine weitere Reduktion der Naturgüter verbietet – eine Position, die auch der Autor vertritt.

Aufgrund der inhärenten politischen Qualität jeglicher umweltethischer Äußerung gelangt die Rolle gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen zwangsläufig in den Blickpunkt dieser Einführung. Ott verweist angesichts des Versagens politischer Eliten, strenge, verbindliche Umweltschutzbedingungen global zu verankern – man denke an die gescheiterten Klimaverhandlungen –, auf das „verbreitete Unbehagen an der repräsentativen Demokratie“, das unter Umweltschützern verbreitet ist, und kann bei allem Verständnis nicht umhin, die „politische Gedankenwelt des Ökologismus“ mit Skepsis zu betrachten. Eine radikale Aufwertung der Natur würde nämlich den unbedingten Vorrang von Menschenrechten und die Errungenschaften der Demokratie gefährlich untergraben. Stattdessen schlägt er alternativ den politisch engagierten „eco-citizen“ vor, der als Teil einer Graswurzel-Bewegung weitreichende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen herbeiführen könnte, um in seinem Fazit eine stärkere Betonung umweltethischer Aspekte zu fordern: „Am Ende sollten die ökonomischen Regime den globalen Umweltregimen untergeordnet sein.“

Geisteswissenschaftlern, namentlich solchen, die im Bereich der Ökokritik forschen, sowie kompetenten Laien gibt diese Einführung in die Umweltethik inspirierende Anstöße zur theoretischen Vertiefung an die Hand. Natur- und Umweltschützer hingegen werden in diesem bewusst sachlich gehaltenen Band nicht immer die nötigen Argumentationshilfen für umweltrelevante Entscheidungen finden, wofür dem Autor großes Lob gebührt, paart er doch hohe fachliche Kompetenz mit jener Zurückhaltung, die vor Prätention und Bevormundung schützt: eine auch in der Wissenschaft nicht selbstverständliche Kombination.

Titelbild

Konrad Ott: Umweltethik. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2010.
250 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066774

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