Entfernte Freundschaft

Der Band „Schreib doch mal hard facts über Dich“ versammelt Briefe, Texte und Dokumente von Hannah Arendt und Günther Anders

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der von Kerstin Pütz herausgegebene Band „Schreib doch mal hard facts über Dich“ versammelt Briefe, die Hannah Arendt und Günther Anders in den Jahren 1939 bis 1976 miteinander wechselten. Einen wirklichen Briefwechsel dokumentiert der Band freilich nur für die Jahre 1955 bis 1975. Denn aus den Jahren 1939 bis 1941 liegen nur 22 Briefe vor, die Hannah Arendt (und einmal Heinrich Blücher) an Günther Anders schrieb. Ergänzt wird der Band mit drei Briefen von Günther Anders an Lion Feuchtwanger aus dem Jahr 1941. In diesen Briefen bittet Anders den Schriftsteller, beide bereits in den Vereinigten Staaten im Exil ansässig, um Hilfe bei den Fluchtvorbereitungen und der Ausreise Hannah Arendts, ihres Ehemannes Heinrich Blüchers und ihrer Mutter Martha Arendt. Im Mai des Jahres konnte das Ehepaar schließlich in die USA einreisen. Am 25. Mai telegrafierte Hannah Arendt an Anders: „Sind gerettet wohnen 317 West 95 = Hannah.“ Einige Wochen später kam auch Martha Arendt nach.

Hannah Arendt und Günther Stern, der sich später Anders nannte, kannten sich bereits seit den 1920er Jahren. Beide studierten Philosophie und 1925 lernten sie sich in Marburg in einem Heidegger-Seminar kennen. 1929 heirateten sie in Nowawes bei Berlin (heute Babelsberg). Die „philosophische Denk- und Arbeitsgemeinschaft“, wie die Herausgeberin die Ehe in ihrem Nachwort charakterisiert, hielt indes nur kurze Zeit. 1933 nach dem Reichstagsbrand emigrierte Günther Anders nach Paris. Kurze Zeit später folgte ihm Hannah Arendt dorthin. Nachdem Anders 1936 den Ort seines Exils nach New York verlegte, wurde die Ehe im August 1937 brieflich geschieden.

Trotzdem hielten beide Kontakt miteinander. Das belegen die Briefe aus dieser Zeit, in denen sich Hannah Arendt immer wieder auf Briefe von Günther Anders bezieht, die allerdings verloren gegangen sind. Der erste Brief datiert vom 19.9.1939. In diesem und in den folgenden, die allesamt in einem vertrauensvollen Ton gehalten sind, informiert die Schreiberin den Freund in Amerika über die Zustände im französischen Exil, wo sich die Situation nach dem deutschen Einmarsch für die Exilanten zuspitzte. Wie so viele andere Exilanten aus Deutschland waren auch Hannah Arendt und ihr zweiter Ehemann Heinrich Blücher von den französischen Behörden inhaftiert worden und es drohte eine Auslieferung an die Deutschen. Von Amerika aus war deshalb Anders um die Ausreise der beiden bemüht, die schließlich auch gelang. Hannah Arendt, davon zeugen die weiteren Briefe bis in den November 1941, blieb nach der glücklichen Ankunft in New York weiterhin sehr engagiert in der Hilfe für die noch in Europa auf Ausreise hoffenden Freunde und Bekannten.

1950 kehrte Anders nach Europa zurück und nahm seinen Wohnsitz in Wien, während Hannah Arendt, seit 1951 US-Staatsbürgerin, in Amerika blieb. Die Korrespondenz aus den Jahren 1955 bis 1975, dem Todesjahr Hannah Arendts, umfasst 31 Briefe. Die von Hannah Arendt sind zumeist eher sachlich und informativ gehalten, etwa wenn sie die Möglichkeiten eines Treffens in Deutschland während einer ihrer Vortragsreisen auflistet. Nur zurückhaltend lässt sie Persönliches anklingen, so beispielsweise wenn sie, eine Bemerkung von Anders aufgreifend, ihr Älterwerden thematisiert oder mit ironisch-knappen Sätzen Umstände ihres Lebens mit „Monsieur“, Heinrich Blücher, andeutet. Die Nachfragen zu den Lebens- und Arbeitsumständen des in Wien ansässigen Günther Anders lassen eine nüchterne Distanz spüren. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Hannah Arendt nach Erscheinen ihres Buches „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ 1955 in Deutschland einen deutlich prominenteren Status erlangt hatte. Ihren Briefen gibt das oft einen pflichtgemäß routinierten Ton. Dagegen klingen die Briefe von Anders persönlicher motiviert. Es scheint indes zuweilen, als kokettiere er mit seiner ‚Unbedeutendheit‘, um sich gegenüber der geschäftigen Briefpartnerin abzugrenzen. Als es 1961 zum ersten von nur zwei Treffen zwischen den beiden seit Anders Rückkehr nach Europa kommt, bewertet Hannah Arendt dieses als „fast ein Desaster“. An ihren Mann Heinrich Blücher schreibt sie, Anders sei „ganz und gar ohne inneren Halt, lebt nur für seinen ‚Ruhm‘, der eine Art Château d‘Éspagne ist, weigert sich, die Dinge in ihrer Wirklichkeit zu sehen oder seine eigene Situation so zu akzeptieren, wie sie wirklich ist.“ Im Verlauf der 1960er Jahre, nach dem 1958 erschienen ersten Band der „Antiquiertheit des Menschen“, wurde Anders dann als engagierter Kritiker der Atomtechnik ebenfalls einem breiteren Publikum bekannt.

Erstaunen mag heute, dass ein bedeutendes Ereignis der Zeitgeschichte, der Eichmann-Prozess von 1961, und Hannah Arendts Berichterstattung darüber an keiner Stelle in den Briefen erwähnt wird. Selten, und dann meistens von Anders, werden damals gegenwärtige Themen aufgegriffen oder kommentiert: „Gestern“, schreibt er am 12. April 1958, „kam gespenstig und sauer Vergangenheit hoch: In einem Mahler-Konzert stand plötzlich ein Glatzgreis mit Knopfaugen neben mir: Adorno, für den ich plötzlich ,lieber Anders’ war.“ Der bitter notierte Anlass war für Anders schmerzhaft, weil er Adorno seit den 1920er Jahren als den erfolgreicheren Konkurrenten wahrgenommen hatte. In diesem Punkt stimmte er mit Hannah Arendt überein. Denn Adorno hatte während des Exils aus ihrer Sicht immer wieder Einspruch gegen regelmäßige Kooperationen des einflussreichen Instituts für Sozialforschung mit Arendt und Anders eingelegt. Mit Bedacht, wie es schien: Als Hannah Arendt das ihr von Walter Benjamin kurz vor seinem Tod überlassene Manuskript der „Thesen zur Geschichte“, dem Wunsch Benjamins entsprechend, zur Veröffentlichung an Adorno übergab, zögerte dieser. Adorno verfolgte eigene Publikationspläne für die Benjamin‘schen Texte – ohne Arendt und Anders in diese mit einzubeziehen. „Dass Du nicht über Benj. schreiben willst, ist traurig,“ schrieb Anders Jahre später noch in einem Brief vom 19.11.1955: „Wer soll denn außer uns, wenn man Adorno nicht das Monopol lassen will?“

Den Band vervollständigen der gemeinsam von Arendt und Anders verfasste Text „Rilkes Duineser Elegien“ aus dem Jahre 1930, jeweils ein Text von Arendt und Günther Stern aus dem gleichen Jahr zu Karl Mannheims „Ideologie und Utopie“ sowie eine Disposition von Günther Anders für „Die Unfertigkeit des Menschen und der Begriff ,Fortschritt’“ (1940/41). Zudem sind drei kurze Texte „In Memoriam Walter Benjamin“ den Texten beigefügt.

Titelbild

Hannah Arendt / Günther Anders: Schreib doch mal hard facts über Dich. Briefe 1939 bis 1975. Texte und Dokumente.
Herausgegeben von Kerstin Putz.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
286 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406699108

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