Medienserver
des BSZ
Baden-Württemberg
Abstract zu

Rituale der Vergeltung
von
Richard J. Evans

Stand: 23.04.2001
Bibliographische Beschreibung
Stellungnahmen, Beanstandungen usw. bitte mit Bezug auf die Dokumente-ID-Nr. 8889368 per E-Mail depot@bsz-bw.de an das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg Konstanz.


Im August 1616 begab sich der englische Reisende Hohn Taylor, ein geistreicher Dichter und Sonderling, in Gravesend an Bord eines Schiffes, um eine kurze Reise nach Hamburg anzutreten. Bald nach seiner Ankunft sah er "vor dem Gefängnis der Stadt eine große Menschenmenge versammelt". Er erzählt weiter: " Ich fragte nach der Ursache des Auflaufs und erhielt Bescheid, dass hier am nächsten Tage ein Gefangener solle gerädert werden, und dass diese müßigen Gaffer aus Mangel an nützlicherer Beschäftigung darauf brannten, ihn zu bestaunen." Taylor zog weitere Erkundigungen ein und erfuhr, dass der Gefangene für schuldig befunden worden war, seine kleine Tochter in einem Wutanfall mit dem Beil erschlagen zu haben. Taylor beschloss, der Hinrichtung beizuwohnen, die am nächsten Tag stattfinden sollte.

"Am Montag, dem 19. August, zu mittag um die zwölfte Stunde, kamen die Menschen der Stadt in hellen Scharen zur Hinrichtungsstätte geströmt, welche, eine halbe englische Meile ohne die Tore messend, mehr einer Schanze denn einem Galgenberg gleicht; ist sie doch ummauert und von einem Wassergraben nebst Zugbrücke umgeben. Der Gefangene kam zu Fuß, und hinter ihm der Geistliche welcher ihn die ganze Zeit ermahnte, zu bereuen; und damit der Tod ihn nicht schrecke, hatte man jenem so manchen Trunk Bier und Wein eingeflößt; denn es ist dort der Brauch, solche armen Wichte trunken zu machen, wodurch sie abgestumpft werden, sei’s gegen die Barmherzigkeit Gottes, sei’s gegen ihr eigenes Unglück; doch da andere für sie beten, mögen sie selbst unerschrocken oder (wie zu fürchten ist) in Verzweiflung sterben."

Mit dieser eindrücklichen Szene, die die Schrecken der Hinrichtung im Folgenden nicht auslässt, beginnt Richard Evans‘ meisterliches Werk über die Rituale der Vergeltung, mit denen Gesellschaft und Staat ihre Macht über Leben und Tod demonstrieren. "Evans‘ Studie umfasst nicht nur einen langen Zeitraum, er prüft auch jeden möglichen Aspekt des Themas Todesstrafe: die Geschichte von Verbrechen und abweichendem Verhalten, in enger Verbindung mit der Veränderung der Klassen- und Geschlechterbeziehungen in der deutschen Gesellschaft ab dem 16. Jahrhundert; die Geschichte des Strafprozesses und der Rechtsreformen; die sich verändernden Formen der Hinrichtung und die mit ihr zu unterschiedlichen Zeiten verbundenen symbolischen Bedeutungen; die Entwicklungsgeschichte des Henker-Berufs; nicht zuletzt die sich verändernde populäre und kulturelle Wahrnehmung der Todesstrafe. Richard Evans hat ein großartiges Buch geschrieben. Seine Geschichte der Todesstrafe in Deutschland geht den Verzweigungen des Themas in allen Aspekten von Gesellschaft und Politik nach." Mit diesen Worten würdigt Joachim Whaley im "Times Literary Supplement" die englische Originalausgabe von Evans‘ Buch. Unbefangen gegenüber den Fachgrenzen von Sozial- und Rechtsgeschichte, Kultur-, Religions- und Ideengeschichte entwickelt Richard Evans ein spannendes historisches Panorama um eine der Kernfragen des sozialen Zusammenhalts: die Macht des Staates über Leben und Tod.

Richard J. Evans
Geboren 1947, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Cambridge. Er wurde mit dem bedeutenden Wolfson Literary Award for History ausgezeichnet und ist Mitglied der British Academy sowie der Royal Historical Society und der Royal Society of Literature. Sein bei Rowohlt erschienenes Buch "Tod in Hamburg. Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910" machte ihn auch in Deutschland dem breiten Publikum bekannt.

(Umschlagtext des Verlages), eingebracht durch das Juristische Seminar der Universität Tübingen