Richtiges Schreiben fördern

Der Einsatz des RABE- und des Kieler Rechtschreibaufbau Programmes in der Klassenstufe 3


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Von Legasthenie bis zur Lese-Rechtschreibschwäche- ein historischer Überblick über die Fachtermini

3. Schriftspracherwerb
3.1. Die Phonemwahrnehmung und die phonologische Bewusstheit als fundamentale kognitive Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb
3.2. Das Stufenmodell
3.2.1. Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Scheerer-Neumann
3.2.2. Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Valtin
3.3. Herausforderungen für die Lernenden

4. Differenzierung im Unterricht und adaptives Lehren
4.1. Der Begriff der Differenzierung im Unterricht
4.2. Der Begriff des adaptiven Lehrens

5. Fragestellung

6. Die Planung und Organistation der Förderung
6.1. Die Schule und die Kinder der Förderung
6.2. Die Planung der Diagnostik
6.2.1. Die Hamburger Schreibprobe – HSP
6.2.2. Die individuelle Lernstandsanalyse – ILEA
6.3. Die Planung der Förderung
6.3.1. Die Methode des „Rhythmischen Syllabierens“ nach Reuter - Liehr zur Unterstützung des lautgetreuen Schreibens
6.3.2. Das Kieler Rechtschreibaufbauprogramm - KRA
6.3.3. Das RABE- Programm (Rechtschreib-Anleitung, Basis und Erweiterung)

7. Die Ergebnisse der diagnostischen Lernbegleitung
7.1. Der Vortest
7.2. Die Qualitative Analyse
7.3. Der Nachtest

8. Die Dokumentation und Reflexion der Durchführung
8.1. Die Dokumentation
8.2. Die Reflexion

9. Diskussion

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang

1. Einleitung

Sätze wie: „Das hört man doch!“, „Du musst nur genau hinhören!, „Da musst du mal mehr lesen, dann klappt das auch mit dem Schreiben...!“ oder „...leidet unter einer Leser- Rechtschreibschwäche/-störung, LRS, Legasthenie... da ist eh Hopfen und Malz verloren!“ sind dem Einen oder Anderen nicht unbekannt.

Diese Ansichten sind nicht nur deplatziert, sondern können bei Kindern zu Frustration, De- motivation, Sekundärsymptomen wie Konzentrationsprobleme bis hin zu Störungen im Sozi- al-, Lern- und Arbeitsverhalten führen; und letzten Endes ist niemandem geholfen.1

Ferner wird in den beispielhaften o.g. Phrasen erkennbar, dass es diverse Begrifflichkeiten für diese Thematik gibt, die sich alle auf Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben beziehen.

In der heutigen Gesellschaft bildet die korrekte Beherrschung der Schriftsprache eine der wichtigsten Grundlagen zur Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Leben und wird oftmals mit Intelligenz und Bildung in Zusammenhang gebracht. Aufgrund dieser Tatsache beschloss die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahre 1978, dass die Schule nicht nur der Ort der Vermittlung der Lese- und Schreibkompetenz sei, sondern auch ein Ort der Förderung für Schüler mit Schwierigkeiten beim Erlernen dieser Fähigkeiten darstellt.2

Damit Rechtschreibschwierigkeiten bei Kindern so früh wie möglich erkannt und eine Förde- rung anknüpfen kann, bedarf es an Kenntnissen des Lehrers über Ursachen, Erscheinungs- formen und geeignete Fördermaterialien und –maßnahmen. Denn viele Pädagogen/-innen verfehlen die Intention der Förderung. Es geht nicht darum keine Fehler bei der Schreibung zu machen, sondern in erster Linie müssen systematische Rechtschreibregeln vermittelt werden.

Durch die beigemessene gesellschaftliche Relevanz und die schlecht abgeschnittenen PISA- Ergebnisse wurde in den letzten Jahrzehnten eine rege Grundlagenforschung betrieben. Das Ergebnis ist ein breites Spektrum an unzähligen Fördermaßnahmen, die von Bachblüten über NLP (Neuro-Linguistisches-Programmieren) -Rechtschreibübungen bis hin zu der Ein- nahme von Psychopharmaka reichen.3 Jedoch wird man dabei feststellen, dass nicht alle Fördermaßnahmen auf seriösen Forschungsergebnissen basieren.

In dieser vorliegenden Arbeit soll deshalb eine Prüfung und Auswertung über die Wirksam- keit eines systematisch aufgebauten Rechtschreibaufbauprogrammes, mittels des Kieler- Rechtschreibaufbau- und des RABE-Programmes, vorgenommen werden. Fünf Schüler und eine Schülerin der dritten Klasse wurden dazu von Mitte Oktober bis Ende Januar eine Stun- de pro Woche gefördert.

2. Von Legasthenie bis zur Lese-Rechtschreibschwäche - ein historischer Überblick über die Fachtermini

Bereits in der Einleitung habe ich das Thema der vielfältigen Bezeichnungen kurz angedeu- tet. Seit über 100 Jahren beleuchtet man die Problematik des Lesens und Schreibens aus vielfältigen Blickwinkeln unter der Verwendung unterschiedlichster Termini. Auf eine einheit- liche Definition kann man sich dabei nicht stützen. Aus diesem Grund möchte ich im Folgen- den einen kurzen chronologischen Überblick über die Diskussionen und Auseinandersetzun- gen geben.

Schüler und Schülerinnen, die Probleme beim Lesen und Schreiben haben, hat es gewiss schon immer gegeben. Aus fachwissenschaftlicher Sicht wurde das Phänomen am Ende des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal von Medizinern/-innen beobachtet und als „Wortblindheit“ deklariert. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff der „Legasthenie“ durch Paul Ranschburg, ein ungarischer Arzt und Psychologe, eingeführt. Dieser war der Meinung, dass Lese- und Schreibschwächen mit einer geistigen Beeinträchtigung einhergehen. Aufgrund dieses vorliegenden Sachverhaltes mussten Kinder mit dieser Diagnose damalige Hilfsschu- len besuchen. Bis in die sechziger Jahre dominierte diese Stigmatisierung. Erst durch die Schweizer Psychologin Maria Linder wurde 1951 belegt, dass die Intelligenz bei Kindern mit einer Leseschwäche in der Regel durchschnittlich bis überdurchschnittlich beträgt. Sie defi- nierte den Begriff der Legasthenie neu und sprach von einer „Teilleistungsschwäche“. Durch die Entkräftigung der jahrelang falschen Mutmaßung kamen neue Diskussionen auf. Die LRS-Problematik verlagerte sich in die Volksschulen und es entwickelten sich verschiedene Fördermaßnahmen. Gemäß Linders Ergebnisse wurden in den 70´er Jahren Intelligenz- und Rechtschreibtests durchgeführt. Wer Probleme beim Lese- und Rechtschreiblernen bei min- destens durchschnittlicher Intelligenz von 90 IQ und darüber aufweisen konnte, der galt als anerkannter Legastheniker, durfte die Volksschule besuchen und erhielt die Teilnahme an einem Förderkurs. Wer schlechter abschnitt musste eine Sonderschule besuchen. Es ent- stand daraus nicht nur eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, sondern Sommer-Stumpenhorst spricht zudem von einer wissenschaftlich untragbaren Messung zwischen Prozentrang und IQ-Punkten.4 Intelligente Kinder mit schlechten Testungen erhielten die Teilnahme an einem LRS-Förderkurs.5

Die daraus resultierende Ungleichbehandlung der Schüler/-innen, die Frage nach der Me- thodenvermittlung und andere Diskrepanzen lösten eine erneute große schulpolitische Dis- kussion aus. Daraufhin beschloss die KMK 1978, den stark negativ konnotierten Begriff der Legasthenie durch „Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Erler- nen des Lesens und des Rechtschreibens“ 6 zu ersetzen. Des Weiteren betont die KMK, dass alle Schüler/-innen einen Anspruch auf Fördermaßnahmen haben, die primär in der Schule stattfinden sollen.7

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Begriffe rund um das Thema der Lese- Rechtschreib-Schwierigkeiten je nach Fachrichtung unterschiedlich definiert und verwendet werden. Vom pädagogischen Standpunkt aus wird der Begriff im Sinne der Kultusminister- konferenz und somit auch in dieser vorliegenden Arbeit verwendet. Die Abkürzung LRS steht ergo für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten und keine Schwäche. Die Gründe für auftau- chende Schwierigkeiten können auf vielerlei Ursachen zurückführen, sei es organischen, häuslichen oder schulischen Ursprungs.8

3. Schriftspracherwerb

Nachdem ein Überblick über die Problematik der Begrifflichkeiten gegeben wurde, möchte ich in diesem Abschnitt aus entwicklungspsychologischer Sicht die Aneignung des Kultur- handwerkes ausführlich schildern.

Erst seit 1976 wurden das Lesen und das Schreiben nicht mehr separat und lediglich als Erwerb der Technik angesehen, sondern beide Lernaspekte wurden unter dem Begriff des „Schriftspracherwerbs“ im Sinne einer Literalisierung zusammengefasst.9

Die Verwendung des Begriffs der Literalisierung bezieht sich hierbei nicht nur auf die „ästhe- tische Dimension der Produktion und Rezeption von Schriftlichkeit [...], sondern [auch auf] die soziale Dimension“ 10. Hierbei haben aber auch andere Forschungsfelder wie bspw. aus Medizin, Lerntheorie, Psycholinguistik, Pädagogik und Lern- und Entwicklungspsychologie zu neuen Kenntnissen des Schriftspracherwerbs beigetragen.11 Somit ist man heute der Auf- fassung, dass der Schriftspracherwerb Einsichten in die Funktion und den Aufbau der Schrift, sowie in die Prinzipien der Orthographie erfordert und bestimmte Strategien des Lernens und Behaltens ausgebildet werden müssen.12

Im Folgenden werde ich mich ausschließlich auf Theorien und Ergebnisse der kognitiven Psychologie beziehen.

3.1. Die Phonemwahrnehmung und die phonologische Bewusstheit als fundamentale kognitive Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb

Neben der Aufmerksamkeit, der Gedächtnisleistung, der phonologischen Bewusstheit und der visuellen und auditiven Wahrnehmungen stehen weitere Funktionen im engen Zusam- menhang mit dem Erwerb der komplexen Kulturtechnik. Die Phonemwahrnehmung und die phonologische Bewusstheit sind beim Erlernen des Schreibens besonders wichtig. Deshalb möchte auf beide näher eingehen.

Bei der Phonemwahrnehmung werden einzelne Phoneme, welche die kleinsten bedeutungs- unterscheidensten Sprachlaute einer Sprache sind, identifiziert und unterschieden wie bspw. /b/ und /p/ in „Bein“ und „Pein“.

Bei den Graphemen hingegen handelt es sich um kleinste bedeutungsunterscheidenste Ein- heiten geschriebener Wörter, die aus Buchstaben z.B. <b>, <t> usw. oder aus Buchstaben- gruppen wie bspw. <sch>, <sp> bestehen und die mit einem Phonem korrespondieren.13

Die Bedeutsamkeit „...der Phonemwahrnehmung [für den schulischen Einstieg in den] Schriftspracherwerb [erfolgt nun] über die Vermittlung regelhafter Verbindungen zwischen Graphemen und Phonemen..., sogenannter Graphem-Phonem-Korrespondenzen.“14

Das bedeutet, dass die Schüler/-innen in der Praxis Korrespondenzen zwischen bspw. dem Phonem /t/ und Graphem <t> von einem ähnlich klingenden Phonem /d/ mit Graphem <d> unterscheiden.

Wie oben bereits erwähnt, wird der phonologischen Bewusstheit eine besondere Rolle bei- gemessen. Studien bewiesen, dass diese eine große Vorhersagekraft für den späteren Lese- und Rechtschreiberfolgt besitzt.15 Die phonologische Bewusstheit bezieht sich dabei auf die formale lautliche Seite. Kinder verfügen über eine phonologische Bewusstheit, wenn sie Wörter zerlegen und synthetisieren können. Dies geschieht meistens spontan im Kindergar- tenalter.

Man unterteilt die phonologische Bewusstheit in eine im „engeren Sinne“ und eine im „weite- ren Sinne“. Die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne meint dabei das Zerlegen und Synthetisieren von großen lautlichen Einheiten wie Silben oder Reime z.B. „Pa-pa“. Die pho- nologische Bewusstheit im engeren Sinne bezieht sich auf die kleinsten lautlichen Einheiten, den Phonemen. Bei der Schreibung werden nun die gesprochenen Wörter in Phoneme zer- legt, die dann in einem weiteren Schritt in die entsprechenden Grapheme transformiert wer- den.16 Für den Schreibprozess ist die phonologische Bewusstheit wichtig, „denn sie ermög- licht die Zerlegung von gesprochenen Wörtern in ihre Phoneme und die anschließende Um- wandlung dieser Phoneme in die dazugehörigen Grapheme.“ 17

Weitere kognitive Grundlagen wie ist das phonologische Arbeitsgedächtnis, Langzeitge- dächtnis und andere auditive und visuelle Informationsverarbeitungen möchte ich hier an dieser Stelle nur erwähnen.

3.2. Das Stufenmodell

Der vorherige Beitrag sollte einerseits einen Einblick gewähren wie komplex der Schrift- spracherwerb aus kognitiv-psychologischer Sicht ist und zum anderen sollte erkenntlich wer- den, dass es viele Ursachen geben kann warum Kindern der Schriftspracherwerb nicht un- mittelbar gelingen kann und über einen langen Übungszeitraum „automatisiert“ werden muss.18 Der Schreiblernprozess vollzieht sich in verschiedenen aufeinander aufbauenden Phasen. Aufgrund dieser nicht zu unterschätzenden Komplexität ist der Schriftspracherwerb ein mühsamer, langer und anfangs mit Fehlern behafteter Prozess. In der Wissenschaft sind einige Modelle sowie verschiedene Bezeichnungen (Erwerbs-, Entwicklungs-, Phasen- oder Stufenmodell) in Erscheinung getreten. Dabei hat Ute Frith als eine der Ersten (1985 und 1986) ein Modell entwickelt, welches oft als Grundlage für Erweiterungen genutzt wird.

In der hier vorliegenden Hausarbeit sollen die aktuellen Stufenmodelle von Scheerer- Neumann und Valtin exemplarisch erläutert werden. Diese geben Auskunft darüber wie Kin- der den Prozess des Lesen- und Schreibenlernens idealerweise vollziehen und auf welchen Entwicklungsstand sie gerade stehen. Die Modelle bestehen aus mehreren Phasen und bil- den eine Voraussetzung für die Fähigkeit des Erkennens von Symptomen, die wiederum einen Hinweis geben können, ob Probleme beim Lesen und Rechtschreiben auftreten.

Die Entwicklungen der beiden Kulturtechniken stehen zwar in einer engen Verbindung und verlaufen ähnlich, doch müssen beide Handlungen nicht zur selben Zeit verlaufen. Daher liefert Scheerer-Neumann ein Stufenmodell der Leseentwicklung und ein Stufenmodell der Rechtschreibentwicklung.19 Beruhend auf dieser Tatsache, werde ich mich ausschließlich mit dem Letzteren befassen.

Bevor ich mich ausgiebig den Modellen widmen werde, möchte ich noch auf wesentliche und allgemeine Rahmenbedingungen verweisen.

- Die folgenden Stufen repräsentieren dominierende Strategien, die Kinder anwenden, um Wörter niederzuschreiben, was nicht ausschließt, dass andere oder gleichzeitig mehrere Strategien eingesetzt werden.
- Der Übergang von einer Stufe in die nächst höhere geschieht erst dann, wenn diese automatisiert worden ist. Die nachfolgende Phase baut auf der zuvor verwendeten auf. Dabei kann eine zuvor verwendete Strategie weiter verwendet werden.20
- Untersuchungen haben festgestellt, dass jedes Kind diese Stufen durchläuft. Jedoch können der Zeitpunkt und die Dauer variieren.21

3.2.1. Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Scheerer-Neumann

Die sogenannte Vorstufe soll an dieser Stelle lediglich der Vollständigkeit erwähnt werden. Im Vorschulalter beginnen die Kinder bereits die Schrift zu imitieren („Als-ob-Schreiben“). Schreibstrategische Muster sind dabei noch nicht erkennbar, sondern es handelt sich um reines Malen und Kritzeln von buchstabenähnlichen Gebilden.

1. Logografische/logographemische Strategie

Das logografische, auch ganzheitliche Schreiben genannt, ist die frühste Entwicklungsstufe auf dem Weg zum Schreiberwerb. Typisch für diese Strategie ist, dass oftmals die Buchsta- ben von Wörtern auswendig gelernt werden ohne einen lautlichen Bezug zu jeden Phone- men herstellen zu können. Dennoch besteht ein Interesse an der Bedeutung der Grapheme bzw. Wörter. Viele Kinder haben zu Schulbeginn diese Stufe bereits vollzogen. Der Erwerb von sogenannten „Lernwörtern“, die gezielt eingeübt werden müssen und von Kind zu Kind variieren können, ist aufgrund der wenigen Kenntnisse kognitiv sehr anstrengend.

2. Alphabetische Strategie

2a) Erste Phonem-Graphem-Korrespondenzen werden durch den Unterricht vermittelt und verschriftet. Dabei müssen die Wörter in ihre Phoneme zerlegt werden, welche wiederum in die dazugehörigen Grapheme transformiert werden. Dies gelingt den Kindern oftmals nur zum Teil, so dass konsonantische Skelettschreibungen erkennbar sind. Dieses Phänomen tritt vermehrt in der ersten Jahrgangsstufe auf. Der Unterschied zur alphabetischen Phase besteht darin, dass Kinder in der alphabetischen Phase die Artikulation mit einbeziehen und somit lautorientierter schreiben. Der Erwerb von Lernwörtern gestaltet sich aber immer noch als kognitiv aufwendig.

Findet der Schüler/-innen in der Mitte der ersten Jahrgangsstufe noch kein Zugang zur al- phabetischen Strategie, so kann dies ein erster Hinweis sein, dass weitere Lernangebote und eine weiterführende Diagnostik im Bereich der phonologischen Bewusstheit benötigt werden, um eine frühestmögliche Intervention zu betreiben.

2b) Die alphabetische Strategie wird weiter ausgeprägt und die Anzahl der verschrifteten Laute nimmt zu. Wie bereits erwähnt, wird die Silbenstruktur der Wörter beim Schreibevor- gang mitgesprochen, ganz nach dem Prinzip „Schreibe wie du sprichst“. Lautgetreue Wörter werden somit erfolgreich niedergeschrieben. Durch die phonemische Unterstützung werden die Lernwörter bereits leichter verinnerlicht. Vokalauslassungen bei Konsonantenhäufungen und langen Wörtern können weiterhin auftreten. Die zeitliche Orientierung wird von Schee- rer-Neumann zwischen Weihnachten bis Ostern des ersten Schuljahres angegeben.

2c) Eine vollständige Wiedergabe der Phoneme wird bis Mitte des zweiten Schuljahres er- wartet. Durch die Nutzung der Silbenstruktur beim Schreiben treten gelegentlich Übergene- ralisierungen auf. Übergeneralisierungen meint dabei, dass bereits gelernte Laute und Re- geln an scheinbar allen Stellen verwendet werden, wo diese aber nicht immer auftreten.

2d) Zunehmend am Ende des zweiten Schuljahres wird die alphabetische Strategie durch die orthographische ergänzt. Umlaute, Bausteine wie <-el>, <-en>, <-er>, Großschreibungen von Nomen, Bedeutungen von Wortfamilien und Schreibungen von Vor- und Nachsilben werden mehr und mehr erfasst und gefestigt. Lernwörter können dadurch leichter eingeprägt werden.

3. Orthografische Strategie

3a) Die alphabetische Strategie wird durch die orthografische immer mehr verdrängt. Dies geschieht in den Jahrgangstufen drei und vier. Die Graphem-Phonem-Zuordnung sowie grundlegende Kenntnisse des Rechtschreibsystems werden angewendet. Scheerer- Neumann pointiert dabei die Nutzung von morphematischen Strukturen (z.B. die Morphem- konstanz bei Umlautschreibungen und konsonantischen Ableitungen). Bei Unsicherheiten der Schreibung eines Wortes beruht die Korrektur nicht mehr primär auf der akustischen Hilfestellung, sondern zunehmend durch die visuelle Erprobung eines Wortes. Umso mehr Kenntnisse über Rechtschreibregeln erlangt werden, umso leichter fällt der Bezug zu be- stimmten Lernwörtern.

3b) Der hier genannte Entwicklungsabschnitt zählt nicht mehr in den Primarbereich. Ab der fünften Klasse nehmen der Grundwortschatz und der Erwerb orthografischer Strukturen im- mer weiter zu, sodass auch Fremdwörter, Interpunktionen und andere Regeln Eingang in den Unterricht finden und weiter ausgebaut werden.22

3.2.2. Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs nach Valtin

Renate Valtins Stufenmodell ist inhaltlich ähnlich aufgebaut wie das von Scheerer-Neumann. Der Unterschied besteht lediglich in der Benennung sowie darin, dass Valtin nicht von drei auf sich aufbauenden grundlegenden Strategien23 ausgeht, sondern von Phasen oder regel-geleiten Konstruktionen spricht.

1. Phase

Die erste Phase ist ebenfalls dadurch gekennzeichnet, dass auswendig gelernte Buchsta- benfolgen ohne lautlichen Bezug “gemalt“ werden.

2. Phase

In dieser Phase werden erste Graphem-Phonem-Korrespondenzen gelernt und angewendet. Wie auch bei Scheerer-Neumann verweist Valtin auf Skelettschreibungen. Die Anzahl der Lernwörter (sind ebenfalls wie bei Scheerer-Neumann Wörter, die nicht durch Regeln abge- leitet werden können, sondern eingeprägt werden müssen) ist gering.

[...]


1 Vgl. Naegele, I. / Valtin, R. 2003. S10

2 Vgl. KMK. 2007. S. 1.

3 Vgl. Naegele, I./ Valtin, R. 2003. S. 11

4 Vgl. Sommer-Stumpenhorst, N. 2006. S. 16.

5 Vgl. ebd. S. 12 ff.

6 KMK. 2007. S. 1.

7 Vgl. Naegele, I./Valtin, R. 2003. S. 9

8 Vgl. Ebd.

9 Vgl. Schründer-Lenzen. 2004. S. 13.

10 Ebd. S.13.

11 Vgl. Eichler. 2004. S. 40.

12 Vgl. Valtin, R. 2000. S.17.

13 Vgl. Steinbrink, C/ Lachmann, T. 2014. S. 19.

14 Ebd.

15 Vgl. Ebd. S. 20.

16 Ebd. S.20 f.

17 Ebd.

18 Vgl. Ebd. S. 13.

19 Vgl. LISUM. 2010a. S. 11.

20 Vgl. Steinbrink, C./ Lachmann, T. 2014. S. 25.

21 Vgl. Jochum-Mann, B./ Schwenke, J. 2010. S. 10.

22 Vgl. LISUM. 2010b. S. 12 f.

23 Vgl. LISUM. 2010a. S. 11.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Richtiges Schreiben fördern
Untertitel
Der Einsatz des RABE- und des Kieler Rechtschreibaufbau Programmes in der Klassenstufe 3
Hochschule
Universität Erfurt  (Grundschulpädagogik - Grundlegung Deutsch)
Veranstaltung
Schriftspracherwerb
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
34
Katalognummer
V537301
ISBN (eBook)
9783346172327
ISBN (Buch)
9783346172334
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grundschulpädagogik, Schriftspracherwerb, Sprachwissenschaft, Rechtschreibförderung, Kieler Rechtschreibprogramm
Arbeit zitieren
Julia Wolf (Autor:in), 2018, Richtiges Schreiben fördern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537301

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Richtiges Schreiben fördern



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden