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GEORGE GROSZ, GROSSWILMERSDORF. 1912 KREIDE

LEBENSERINNERUNGEN

VON

GEORGE GROSZ

Modelle standen oft in gewagten Posen, aus-
gerenkte Arme und schwer zu haltende Bein-
stellungen wurden durch Anbinden unterstützt.
Das sah grotesk aus, ähnlich den Kopfstützen bei
altertümlichen Provinzphotographen. Schließlich
waren wir ja auch nicht viel mehr, und da so
ein Modell oft drei Wochen in derselben Pose
verharren mußte, so war schnelle Auffassung nicht
nötig. Durch diese lange Posiererei entwickelte
sich unter den Schülern eine kleinliche Korrigier-
wut, jeden Tag wurde neu am Modell herumgestellt
und geschoben, einem war gestern der Arm weiter
rechts, dem anderen der Fuß mehr nach außen
gedreht. So lagen sich besonders Angsdiche, aufs
genaue Maß Bedachte, dauernd mit der angeblich
richtigen Stellung von gestern in den Haaren.
Erst wenn die allgemeinen Umrisse zu Papier ge-

III (Schluß)
bracht waren, was bei der herrschenden Gewissen-
haftigkeit oft tagelang dauerte, hatten diese Modell-
quälgeister Ruhe, und zwei Wochen wurde nun
sorgfältig schattiert, radiert und gewischt. Von
heute aus betrachtet, eine wahrhaft Don Quicho-
tische Szenerie. Damals konnte man unter Um-
ständen abends nicht einschlafen, wenn man die
Verhältnisse irgendwo versaut hatte. Im Hinter-
grund dazu den Tadel oder das Lob des seine
spitzen Kreiden und seinen Malstock wie ein
Bakel schwingenden Kunstprofessors.

Fasse ich kritisch meine Erfahrungen aus dieser
Lehrzeit zusammen, so kann ich ohne Ressenti-
ment sagen, viel gelernt habe ich bei dieser Art
Zeichenunterricht nicht. Das, was ich von diesen
zwei Akademiejahren lernte und erfuhr, bildete
sich im Umgang mit meinen Freunden heraus,

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