P. Gassert: Amerika im Dritten Reich

Titel
Amerika im Dritten Reich. Ideologie, Propaganda und Volksmeinung 1933-1945


Autor(en)
Gassert, Philipp
Erschienen
Stuttgart 1997: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
DM 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Hachtmann, Forschungskommission der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Erforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Dritten Reich, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte

Gemeinhin wird unterstellt, dass "Amerika" - gemeint sind die USA - und "Amerikanismus" im Deutschland der NS-Zeit und vor allem von den Funktionstraegern des NS-Regimes und der NS-Bewegung grundsaetzlich mit Argwohn und Ablehnung betrachtet worden sei. Diese Auffassung ist fuer einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Lebens waehrend des 'Dritten Reiches' in den letzten Jahren revidiert und differenziert worden; eine Gesamtdarstellung, die die verschiedenen Dimensionen des Verhaeltnisses zu den USA und die je nach Alter, Schichtzugehoerigkeit und politischer Einstellung sehr unterschiedliche Rezeption dessen, was 'man' als "Amerika" wahrnahm, die vielfaeltigen Ressentiments und Projektionen, die sich auf die 'Neue Welt' bezogen, stand fuer das 'Dritte Reich' bisher aus.

Dieses Defizit hat Gassert mit der Druckfassung seiner Dissertation nun geschlossen. Er diskutiert nicht nur die hoechst vielfaeltigen Schichten und Ambivalenzen des deutschen Amerikabildes; er spannt darueber hinaus den zeitlichen Bogen bis zum Jahr 1917. In Kapitel I skizziert der Verf. die Kontroversen um Politik und Person des US-Praesidenten Wilson, die die Stellung gegenueber den USA auf der politischen Ebene in Deutschland nachhaltig (letztlich bis 1945) praegten, und thematisiert den deutschen Blick - oder besser: die Vielfalt der 'deutschen Blicke' - auf Wirtschaft und Gesellschaft "Amerikas" bis 1933. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass die Wirtschaftsethik Fords, die dieser in seiner zeitlich (1924) guenstig plazierten, auflagenstarken Autobiographie propagierte, manchen "geradezu als Reinkarnation alt-preussischer Tugenden erschien" und die Fordwerke am River Rouge lediglich zur "Kulisse" fuer das weltanschauliche Programm des Automobilkoenigs der fruehen Zwanziger wurden (S.50, 52 und 54). Gassert weist ausserdem darauf hin, dass das US- amerikanische Girl zum "Prototyp der attraktiven, selbstaendigen Frauen" und damit zugleich das Gegenbild zum "deutschen Maedel" wurde. Von Alfred Rosenberg, dem NS-Chefideologen bis Mitte der dreissiger Jahre, wurde aus dem (relativ) emanzipierten Frauenbild, dem "die Amerikaner" angeblich huldigten, die "Vorherrschaft des weiblichen Geschlechts", die das nach Ansicht Rosenbergs "auffallend niedrige Kulturniveau" der amerikanischen Nation erklaere (S.68 ff., 101).

In Kapitel II widmet sich Gassert dem Amerikabild Hitlers bis 1933. Er bemerkt in diesem Zusammenhang, dass in den konkreten aussenpolitischen Ueberlegungen des spaeteren 'Fuehrers' "Amerika" eine nur sehr untergeordnete Rolle spielten, die USA dagegen "als kontinentale Macht und prototypischer Grossraum der Erde" eine wichtige allgemeine Vorbildfunktion fuer sein "grossgermanisches Reich der Zukunft" besassen (S.88 ff.). Nationaler Aufstieg zur Weltmacht durch Erweiterung des 'Lebensraumes' statt durch innergesellschaftliche Rationalisierung und Modernisierung, wie dies das Ford'sche Programm implizierte - das unterschied den 'Technikfan' Hitler auch von den meisten Ford-Enthusiasten der Weimarer Republik und wurde ebenso zu einem zentralen Element seines Amerikabildes nach 1933 sowie ueberhaupt zum Kern der imperialistischen Politik des NS-Regimes (vgl. S.182). Der rassistische Blick Hitlers auf die USA blieb ambivalent: Einerseits sprach er von einem "'nordischen Rassekern' der amerikanischen Bevoelkerung", andererseits haette sich "das 'Judentum' in Amerika durchgesetzt" (S.98).

In Kapitel III thematisiert Gassert die NS-Medienpolitik, die staatliche Kontrolle des Informationsflusses aus den USA und die Einflussnahme auf das von den Medien verbreitete Amerikabild durch das NS-Propagandaministerium und andere Institutionen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass erst im 'Dritten Reich' der Amerikanistik der institutionelle Durchbruch gelang und 1936 der erste Lehrstuhl fuer Amerikanistik an der Berliner Friedrich-Wilhelm- Universitaet eingerichtet wurde. US-amerikanische Filme, nicht zuletzt die Produktionen des in NS-Perspektive 'politisch korrekten' Walt Disney, konnten zwar bis zum Auffuehrungsverbot im Herbst 1940 (so schildert der Verf. in Kapitel IV) auch im 'Dritten Reich' Erfolge feiern; insgesamt ging der Einfluss von Hollywood seit 1933 jedoch kontinuierlich zurueck (S.167 ff.). In volkswirtschaftlicher Hinsicht glaubte das NS-Regime - das auf vielfaeltige Weise die Uebernahme fordistischer und tayloristischer Methoden in der Industrie unterstuetzte - "Amerika" sogar ueberfluegelt zu haben. "Die Geschichte des Amerikanismus im Dritten Reich ist die einer wachsenden Distanzierung von der Entwicklung in den USA" und "urspruenglichen amerikanischen Vorbildern" (S.180 bzw. S.27), so lautet ein wichtiges Resuemee des Verf. In Kapitel V skizziert Gassert das offizielle deutsche Amerikabild bis 1937 u.a. vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele 1936, sowie die (erheblichen Schwankungen unterworfene) deutsche Sicht des Roosevelt'schen New Deals. Erst seit 1937 (Kapitel VI) versteifte sich die offizioese deutsche "Amerikaberichterstattung zu einer offen feindseligen Berichterstattung", insbesondere seit dem Pogrom vom 9. November 1938 - nachdem die Reaktionen der USA auf den in Deutschland praktizierten Antisemitismus unmissverstaendlich und massiv ausgefallen waren (S.247, 257). Neben einer Skizze der wesentlich von Carl Schmitt gepraegten "deutschen Monroe-Doktrin fuer Europa" (S.296 ff.) schildert Gassert in den letzten Kapiteln seiner Arbeit, dass sich in Deutschland kaum jemand Illusionen darueber machte, dass die USA langfristig auf seiten Grossbritanniens stehen wuerden und 'Volksmeinung' wie die offizielle NS-Aussenpolitik lediglich hofften, den Kriegseintritt der USA moeglichst weit hinauszoegern zu koennen. Die Kriegserklaerung Deutschlands an die USA nach dem japanischen Ueberfall auf Pearl Harbor war auch in breiten Bevoelkerungsschichten von der Hoffnung getragen, die USA in einen Zwei-Fronten-Krieg verwickeln zu koennen (bei gleichzeitiger Ueberschaetzung des japanischen und Unterschaetzung des US- amerikanischen militaer-oekonomischen Potentials; S.317 ff.). Der Vergleich mit der entscheidenden Bedeutung des Kriegseintritts der USA 1917 stand freilich staendig im Raum und rueckte in dem Masse in den Vordergrund, wie sich die militaerische Situation zu Ungunsten des 'Dritten Reiches' verschlechterte, insbesondere seit 'Stalingrad'. Dass dennoch der Friedenswunsch nicht so massiv wie 1918 im Raum stand und das NS-Regime bis zum Schluss offen kaum infrage gestellt wurde, lag nicht zuletzt an den Flaechenbombardierungen durch die US-Luftwaffe und die von der NS-Propaganda vor diesem Hintergrund vielfach erfolgreich mobilisierten, mit Rachegeluesten gepaarten antiamerikanischen Ressentiments. Gleichsam nebenbei raeumt Gassert auch mit historischen Mythen auf - etwa wenn er konstatiert, dass die musikalischen Interessen der 'Swing-Jugend', ueber die in den letzten Jahren eine wachsende Zahl an Darstellungen publiziert wurden, "keineswegs identisch mit dem Musikgeschmack der grossen, mittelstaendischen und kleinbuergerlichen Masse [waren], die den typischen 'Volksgenossen' stellte" (S.358 ff.). Die letzten Kriegswochen schliesslich brachten eine erneute Wende in der 'Volksmeinung'; sie waren von Bolschewismus-Furcht und einem damit kontrastierenden, erneut positiven, hoffnungsvollen Bild von Kaugummi kauenden Amerikanern gepraegt. Dieser letzte Aspekt kommt freilich etwas zu kurz: Wenn 'die deutsche Bevoelkerung' 1945 gegenueber der US-Armee ueberwiegend weit freundlicher eingestellt war als gegenueber der Roten Armee, dann lag dies nicht nur an den von der NS-Propaganda in den letzten Kriegswochen bewusst herausgestrichenen Greueltaten sowjetischer Soldaten, und nur begrenzt an "wiederaufgefrischten" positiven Erinnerungen an 'die Amerikaner' im Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik (vgl. S.366 f.). In diesem Kontext waeren zumindest Hinweise auf die in der ueberwiegenden Mehrheit der deutschen Bevoelkerung tiefsitzenden Ressentiments gegenueber 'den Russen', auf den von der NS-Propaganda systematisch genaehrten Mythos von der asiatisch-bolschewistischen Barbarei - der zugleich bekanntlich die Rechtfertigung fuer die eigene, furchtbare Kriegsfuehrung in der Sowjetunion abgab - angebracht gewesen. Zum Trommelfeuer der NS-Propaganda, durch das traditionelle Feindbilder bestaerkt und vertieft wurden, trat vermutlich bei vielen das schlechte Gewissen, die Angst, 'die Russen' wuerden sich in Deutschland genauso verhalten wie 'die Deutschen' in Russland. Eine solche Angst brauchte man gegenueber den US-Soldaten nicht haben; auch die ueberkommenen Klischees ueber 'die Amerikaner' waren seit jeher viel positiver eingefaerbt. Dies erklaert wesentlich, warum es nach 1945 im Westen Deutschlands so rasch zu einem ueberschwenglich positiven USA-Bild kommen konnte. Erst wenn man das Amerikabild mit dem (ebenso aufschlussreichen) Russlandbild kontrastiert, laesst sich erklaeren, warum der zudem nicht eindeutige Antiamerikanismus der NS-Zeit in das positive USA-Bild der unmittelbaren Nachkriegszeit und dann in der Bundesrepublik umschlug. Problematisch ist es ausserdem (das sei als weiterer kleiner Kritikpunkt angemerkt), wenn Gassert von dem Amerikabild der Linken in der Revolution von 1918/19 spricht und dann lediglich mit einem Zitat aus dem mehrheitssozial- demokratischen 'Vorwaerts' aufwartet (S.42).

Diese Einwaende aendern nichts daran, dass Gassert ein grundlegendes Werk gelungen ist, aufschlussreich nicht zuletzt mit Blick auch auf allgemeine Kontroversen der letzten Jahre: Denn die Debatte ueber "Amerika im Dritten Reich" ist - das zeigt der Verf. auf den verschiedenen Ebenen - zugleich eine Debatte ueber die "Moderne" und "Modernisierungsfunktionen" der Herrschaft des Nationalsozialismus. Fuer die Zeitgenossen nicht nur der zwanziger, sondern tendenziell auch der dreissiger Jahre war "Amerikanismus" gleichbedeutend mit "Modernitaet", waren die USA das Gegenbild zu traditionalen, agrarisch, in wesentlichen Bereichen noch staendisch gepraegten, stark hierarchisierten Gesellschaften. Eine Darstellung des Amerikabildes 1933 bis 1945 ist zudem auch und gerade fuer Struktur und Selbstverstaendnis des NS-Systems hoechst aufschlussreich, weil sich der Nationalsozialismus gleichsam als spezifisch deutsche Antwort auf "Amerika" und den vermeintlichen Amerikanismus der Weimarer Republik verstand.

Die Arbeit Gasserts ist kenntnisreich, kompetent und gut lesbar, ein positives Faktum, das um so schwerer wiegt, als der Verf. sich in sehr unterschiedlichen Segmenten der Historiographie - Technik-, Wirtschafts-, Politik- und Kulturgeschichte - souveraen bewegt und nicht nur ein lediglich schwer ueberschaubares Quantum an Sekundaerliteratur zu 'verdauen' hatte, sondern ausserdem eine Vielfalt aussagekraeftiger Quellen in seine Untersuchung einbezogen hat.