D. Schumann: Politische Gewalt in der Weimarer Republik

Titel
Politische Gewalt in der Weimarer Republik. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg


Autor(en)
Schumann, Dirk
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen: Schriftenreihe A: Darstellungen; Bd. 17
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
DM 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Graf, Humboldt-Universitaet zu Berlin

Dirk Schumanns Bielefelder Habilitationsschrift über „Politische Gewalt in der Weimarer Republik“ steht an der Schnittstelle dreier historischer Forschungsfelder. Erstens schließt sie an die älteren – inzwischen häufig klassisch gewordenen – Forschungen zur Geschichte der paramilitärischen Verbände in der Weimarer Republik, der gewalttätigen Aggression von seiten der extremen Linken sowie des gewaltsamen Aufstiegs von NSDAP und SA an.1 Über diese Einzeldarstellungen geht Schumann hinaus, indem er den Versuch unternimmt, das Gesamtphänomen der politischen Gewalt über den ganzen Zeitraum der Weimarer Republik am Beispiel der preußischen Provinz Sachsen – von dieser räumlichen Einschränkung erfährt man ärgerlicherweise erst auf Seite 22 – zu untersuchen. Mit dieser Herangehensweise ist die Arbeit zweitens dem in jüngerer Zeit expandierenden Feld der historischen Gewaltforschung zuzurechnen.2 Innerhalb dieses Forschungsfeldes hat sich der Schwerpunkt zunehmend von einer reinen Ursachen- und Wirkungsanalyse der Gewalt zu einer Untersuchung ihrer konkreten Formen und Ausdrucksweisen verschoben. Diesem Wandel Rechnung tragend, stellt Schumanns Arbeit drittens aufgrund der zentralen Rolle der Gewalt in der paramilitarisierten politischen Landschaft der Weimarer Republik einen Beitrag zur Untersuchung ihrer „politischen Kultur“ dar.3

Als Ergebnis seiner Untersuchungen formuliert Schumann, daß die „politische Gewalt des ritualisierten Terrainkampfes ... seit 1921 Schritt für Schritt zu einem ubiquitären, aber nicht unkontrollierbaren Phänomen“ (359) geworden sei, wobei die extreme Rechte in diesem Prozeß die „wesentliche treibende Kraft“ (11) gewesen sei und die Linke zumeist nur reagiert habe, wenn ihr der Anspruch auf Beherrschung der Straße streitig gemacht worden sei. Diese These steht in deutlichem Widerspruch zu Andreas Wirschings unlängst veröffentlichter Habilitationsschrift, „Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg“, in welcher dieser den politischen Extremismus in Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Hauptstädte Paris und Berlin untersucht.4 Über weite Strecken liest sich Schumanns Studie methodisch und inhaltlich wie die Gegengeschichte zu Wirschings eher ideologiegeschichtlich ausgerichteter Arbeit, in der das Anwachsen des Rechtsextremismus als eine bürgerliche Reaktion auf die linksextreme „totalitäre Bewegung“ – so der von Wirsching im Anschluß an C. J. Friedrich entwickelte Idealtypus – im Zeichen von „Notwehr“ und „Ordnung“ begriffen wird.5

Zum Beleg der These, die Ausweitung der politischen Gewalt in der Weimarer Republik sei wesentlich auf die Aktivität der politischen Rechten zurückzuführen, analysiert Schumann weniger Programme und Verlautbarungen als vielmehr in chronologischer Weise die konkreten Praktiken und Abläufe der politischen Auseinandersetzung. Nach einem kurzen Vorlauf zum Kaiserreich gliedert er den Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte: den „punktuellen Bürgerkrieg“ 1919-1921, den „Symbol- und Terrainkampf“ 1921-1923, die mit einem Fragezeichen versehenen „ruhigen Jahre“ 1924-1929 und die Phase der Eskalation 1929/30-1933.

Für die Phase des punktuellen Bürgerkrieges bestätigt Schumann die Position, daß es von der radikalen Linken keine Vorbereitungen für einen gewaltsamen Umsturz gab, um dann die Bewaffnung von Teilen der Arbeiterschaft und deren Gewalttätigkeit als Reaktion auf den drohenden Verlust der Vorherrschaft im öffentlichen Raum zu begreifen. So sei die Bewaffnung eine Folge der Präsenz des 1919 zum Schutz der Nationalversammlung in der Region stationierten Landesjägerkorps unter General Maercker gewesen, und die entscheidenden Impulse im Eskalationsprozeß seien von den Regierungstruppen ausgegangen. Auch die sogenannte „Märzaktion“ des Jahres 1921 begreift Schumann nicht einseitig als kommunistischen Umsturzversuch, sondern als eine Eskalation der Gewalt, die aus der Interaktion von Regierungshandeln und bewaffneter Arbeiterschaft resultierte. Hierbei kam dem charismatischen Arbeiterführer Max Hoelz zentrale Bedeutung zu, den man, wie Schumann bestätigt, von der KPD und ihrer Führung unterscheiden muß.

Für die Phase des „Symbol- und Terrainkampfes“ stellt Schumann fest, daß sie nicht mehr durch große gewalttätige Auseinandersetzungen, sondern vielmehr durch kleinere Zusammenstöße geprägt war. Auch für diese Phase legt er jedoch dar, daß die Aktivität der radikalen Linken wesentlich als Reaktion auf die neue Form des bürgerlichen Selbstschutzes in Form von Veteranenverbänden und deren Präsenz im öffentlichen Raum bei Festen und Aufmärschen zu verstehen ist. Insbesondere die Morde an Matthias Erzberger und Walther Rathenau führten zu einer Intensivierung der – häufig gegen Symbole gerichteten – Gewalt. Der weit verbreiteten Furcht vor einem deutschlandweiten Aufstand der Arbeiterschaft bzw. einem kommunistischen Revolutionsversuch im Herbst 1923 entsprach keine reale Gefahr, wie Schumann belegt.

In dem interessantesten Abschnitt seiner Studie, der die Jahre der „relativen Stabilisierung“ der Weimarer Republik behandelt, zeigt Schumann mittels genauer Analyse der politischen Auseinandersetzungen, wie sich trotz der augenscheinlich geringeren Intensität der politischen Gewalttätigkeiten ein „unausgesprochener Konsens über die Legitimität von Gewalt bereits in die politische Kultur eingefressen hatte“ (203). Im Gegensatz zur altbekannten These der Fragmentierung der politischen Kultur in der Weimarer Republik arbeitet Schumann heraus, wie sich auf der Ebene der konkreten politischen Praktiken und Ausdrucksformen eine die verschiedenen Lager übergreifende Gemeinsamkeit der politischen Kultur herausbildete, die er mit dem Begriff der „Militarisierung“ bezeichnet.

Diese Militarisierung der politischen Kultur bereitete den Boden für die Eskalation der Gewalt in der Endphase der Weimarer Republik, die Schumann wesentlich auf die Aktivität der NSDAP bzw. der SA zurückführt, die nicht nur ein höheres Aggressivitätspotential, sondern auch insofern einen anderen Charakter als die älteren Wehrverbände der Rechten gehabt habe, als sie sich als zukünftige Ordnungsmacht präsentiert habe. Dem hohen Aggressivitäts-, Organisations- und Mobilisierungsgrad der SA stellt Schumann die „Dauerschwäche der Kommunisten“ entgegen (286), um dann im Detail zu analysieren, von welcher Seite bei Versammlungen und Aufmärschen in der Endphase der Weimarer Republik jeweils die Gewalt ausging.

Schumann leistet in seiner Arbeit nicht nur eine synthetisierende und quellengesättigte Darstellung des Phänomens der politischen Gewalt in der Weimarer Republik für die Region Sachsen, sondern er belegt auch in überzeugender Weise seine Kernthesen von der Ubiquität des Phänomens der politischen Gewalt durch die Militarisierung der politischen Kultur sowie der zentralen, antreibenden Rolle der politischen Rechten in diesem Prozeß. Dennoch weist seine Studie Probleme und Defizite auf: Zunächst wird der bei einer Analyse der politischen Kultur notwendige Anspruch, sich wesentlich mit Deutungsmustern und Wahrnehmungsweisen zu beschäftigen, über weite Strecken des Buches nicht eingelöst. Statt dessen erfolgt häufig lediglich eine Darstellung der Ereignisabläufe von gewalttätigen Auseinandersetzungen wie Saal- und Straßenschlachten unter der Perspektive, wer den ersten Schuß abgab, d.h. wer Schuld hatte. In gleicher Weise erscheint die mehrmals wiederholte Feststellung, daß keine reale Gefahr eines Bürgerkrieges oder eines Umsturzes von links bestanden habe, irrelevant für eine Analyse der Eskalationsprozesse, die jeweils auf der Wahrnehmung einer gewalttätigen Bedrohung durch den politischen Gegner basierten. Darüber hinaus ist Schumanns Definition seines zentralen Analysebegriffs „politische Gewalt“ zirkulär, da das Adjektiv „politisch“ sowohl im Definiendum als auch im Definiens vorkommt (16). Dies wäre als kleine Unachtsamkeit abzubuchen, wenn daraus nicht ein methodisches Problem folgte: In Schumanns Arbeit finden sich wiederholt Analysen der zweifelsohne gewalttätigen Teuerungsunruhen und Subsistenzproteste in der Region, bei denen nicht klar wird, was sie als „politisch“ qualifiziert.

Schließlich ist die These, daß die politische Rechte die treibende Kraft für die Eskalation der politischen Gewalt war, zwar überzeugend belegt, aber es entsteht leider zeitweilig der Eindruck forschungsstrategischer Einseitigkeit, zumal die Frage der regionalen Besonderheiten und damit der Repräsentativität von Sachsen nicht ausreichend thematisiert wird. Somit kann man zusammenfassen, daß Schumanns Studie zwar einen begründeten Widerspruch zu Andreas Wirschings anhand der KPD-Hochburg Berlin entwickelter These darstellt, die Eskalation der Gewalt sei wesentlich auf die Aktivität der radikalen Linken zurückzuführen. In einer vergleichenden Analyse wäre jedoch noch zu untersuchen, inwiefern die abweichenden Urteile auf den Besonderheiten der Untersuchungsregionen, auf der Differenz zwischen eher ideologie- und eher sozial- bzw. ereignisgeschichtlicher Herangehensweise oder auf anderen forschungsbestimmenden Faktoren beruhen.

Anmerkungen:

1 Diese aufzuzählen würde hier zu weit führen. Vgl. als Synthese mit Literaturangaben: Weisbrod, Bernd: Gewalt in der Politik. Zur politischen Kultur in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, in: GWU 43 (1992), 391-404.

2 Siehe als zusammenfassenden Forschungsüberblick: Schumann, Dirk: Gewalt als Grenzüberschreitung. Überlegungen zur Sozialgeschichte der Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), 366-386.

3 Zum Begriff der „politischen Kultur“: Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: HZ 250 (1990), 321-346.

4 Wirsching, Andreas: Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg. Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918—1933/39. Berlin und Paris im Vergleich, München 1999.

5 Siehe Wirsching: Vom Weltkrieg, 21, 616f.

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