Petra Maisak

Literarische Versuche der Selbstheilung




  • Anton Philipp Knittel: Zwischen Idylle und Tabu. Die Autobiographien von Carl Gustav Carus, Wilhelm von Kügelgen und Ludwig Richter. (Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur 15) Dresden: w.e.b. Thelem 2002. 256 S. Kartoniert. EUR 35,00.
    ISBN: 3-935712-10-3.


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Aus dem an Autobiographien reichen 19. Jahrhundert legt Knittel drei – heute kaum noch gelesene – Lebensbilder vor, die bei aller Unterschiedlichkeit einen exemplarischen Einblick in die Zeitverhältnisse nach 1800 bieten. Es ist das große Verdienst des Verfassers, mit seiner Untersuchung die autobiographischen Schriften von Carl Gustav Carus (1789–1869), Wilhelm von Kügelgen (1802–1867) und Ludwig Richter (1803–1884) ins Blickfeld der Literaturwissenschaft zu rücken, erfolgte ihre Rezeption doch zumeist unter kultur- und kunsthistorischem Aspekt. Die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Werke wird von Knittel eingehend referiert und dokumentarisch untermauert, immer im Bemühen, auf der Höhe des literaturwissenschaftlichen Diskurses zu sein.

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Die Autoren

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Die Auswahl und Gegenüberstellung gerade dieser drei Autobiographien begründet Knittel mit der zeitlichen und räumlichen Nähe von Carus, Kügelgen und Richter, die um 1800 geboren wurden, einen wichtigen Teil ihres Lebens in Dresden verbrachten, zum Teil in denselben Kreisen verkehrten, ähnliche Einflüsse aufnahmen und, nicht zuletzt, Goethe als eine maßgebliche Autorität anerkannten. Sie erlebten den großen Umbruch der nachrevolutionären Zeit, das Grauen der napoleonischen Kriege und die Ära der Restauration mit ihrem tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandel.

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Alle drei waren sie künstlerisch und literarisch tätig, wenn auch in sehr unterschiedlichen Kategorien. Bei Carus handelt es sich um den Typus eines universal gebildeten Gelehrten, der in seinem Beruf als Mediziner und Naturforscher erfolgreich war, der seine Erkenntnisse in populären Schriften veröffentlichte und in seiner Muße als hochbegabter Maler dilettierte. Er entwickelte ein Konzept der »Lebenskunst«, das auf Ganzheitlichkeit gerichtet war, und schlug souverän die Brücke zwischen Naturwissenschaft und den schönen Künsten, zwischen Klassik und Romantik.

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Kügelgen war dagegen der Prototyp einer unglücklichen Existenz. Aus einer angesehenen Künstlerfamilie stammend und musisch sehr gebildet, fehlte dem Maler doch die eindeutige Begabung; kränklich und depressiv führte er ein eher kümmerliches Leben, das von der Erinnerung an die biedermeierliche Idylle seiner Jugend überstrahlt wurde.

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In Knittels Trias ist Richter der einzige genuine bildende Künstler, der in seiner Kunst vollkommen aufging. Trotz schwieriger sozialer Verhältnisse bis zur Lebensmitte verfolgte er mit zäher Energie den Weg, den er intuitiv als den seinen erkannte und der ihn von den romantischen Idealen der Nazarener zu einer spätbiedermeierlichen Idyllik führte, mit der er schließlich überaus populär wurde. Nur seine Lebenserinnerungen können als Künstlerautobiographie im eigentlichen Sinn gewertet werden. Sie mit den literarisch ambitionierten Schriften von Carus und Kügelgen zusammenzubinden, ist nicht ganz unproblematisch – um den Rahmen abzustecken, hätte man sich einen Seitenblick auf zeitgenössische Texte wie z.B. die Erinnerungen aus meinem Leben von Ludwig Emil Grimm, dem Zeichner, Radierer und jüngeren Bruder von Jacob und Wilhelm Grimm, oder Erinnerungen und Leben von Louise Seidler, der mit Goethe befreundeten Malerin und Schülerin Gerhard von Kügelgens, gewünscht.

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»Idylle und Tabu« als Denkfigur

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Angesichts der Notwendigkeit, für die Analyse der so ungleichen Autobiographien von Carus, Kügelgen und Richter ein hermeneutisches tertium comparationis zu finden, führt Knittel mit dem Titel Zwischen Idylle und Tabu eine ungewöhnliche Begriffskombination ein. Gestützt auf eine Flut von Zitaten aus der Sekundärliteratur folgt er der gängigen These, die Entstehungszeit der drei Autobiographien zwischen Restauration und Reichsgründung sei maßgeblich geprägt durch die »Defizienzerfahrungen des Subjekts« (S. 14), dessen Welt sich radikal verwandelt habe und in ihrem Gefüge auseinanderzubrechen drohe. Als Gegenreaktion werde Zuflucht im überschaubaren, bescheidenen Raum der »Idylle« gesucht, deren ästhetische Projektion geeignet sei, die bedrohlichen Risse im Weltbild wie ein glänzender »Firnis« an der Oberfläche zu kaschieren (S. 16). Die Idylle heilt demnach die Welt im schönen Schein, während unter der Oberfläche verborgene »Tabus« schwelen, als Produkte latenter Ängste und Bedrohungen. Nach Knittel manifestiert sich dieser Grundzug auch in den untersuchten Autobiographien. Durch das Stilmittel der Idyllik, der Verkleinerung, des Humors, der Regression in eine Kinderwelt soll das Leiden an der Wirklichkeit verdrängt statt verarbeitet werden.

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Diesen Akt der Verdrängung setzt Knittel einer Tabuisierung gleich, die er als Epochenphänomen beschreibt. Unter Berufung auf Hermann Korte 1 interpretiert er den Begriff »Tabu« als eine Form der ausgrenzenden Selbstschutz-Reaktion angesichts der Erfahrung der »Ich-Dissoziation«, der »Trennung von Natur und Kultur« sowie der »Technisierung, Modernisierung« und »zunehmenden Komplexität von Welt und Gesellschaft« (S. 16), ohne freilich eine methodische Definition vorzunehmen. Die Verwendung der Begriffe »Tabu« und »Idylle« läßt eine gewisse Trennschärfe vermissen; man erfährt nicht, ob »Tabu« primär kulturhistorisch oder psychoanalytisch gedeutet wird, ebenso offen bleibt die gattungsspezifische Einordnung der »Idylle«. Die Koppelung eines Begriffspaars, das keine Antithese bezeichnet, sondern ein ambivalentes Weltverhältnis als Reaktion auf die Erfahrung einer existentiellen Verunsicherung anzudeuten sucht, erschwert eine systematische Argumentation, die durch häufige Wiederholungen »in anderen Worten« nicht an Luzidität gewinnt.

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Carl Gustav Carus:
Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten
(1865 / 66)

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Am Beispiel von Carus erscheint die Doppelperspektive von »Idylle und Tabu« besonders prekär. In seinen Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten spielt die Idyllisierung (anders als in seinen Gemälden) eine untergeordnete Rolle, und zur Tabuisierung bzw. Verdrängung neigt der psychologisch geschulte Naturwissenschaftler und Mediziner weniger als viele seiner Zeitgenossen. Im Gegenteil, er versucht den dunklen Schrecknissen bewußt zu begegnen, indem er das Ideal einer »Lebenskunst« propagiert, die auf Seelengesundheit gründet: Ziel ist die organische Entwicklung aller wesensgemäßen Anlagen eines Individuums zu harmonischem Gleichgewicht in Übereinstimmung mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Dem Erkennen des richtigen Maßes fällt dabei eine entscheidende Bedeutung zu, und Aussöhnung der Gegensätze ist erforderlich, um das Leben zu einem harmonischen Kunstwerk zu gestalten, das zur ›tranquillitas animae‹ führt.

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Es ist ein auf Innerlichkeit bezogener konservativer Lebensentwurf, der letztendlich zu einer Genüge am – allerdings selbstbestimmten – Dasein auffordert. An diesem Punkt bringt Knittel seine Denkfigur ein. Er erkennt in dem Lebenskunst-Konzept von Carus eine Tabuisierung der gesellschaftlichen Probleme, da es ein »umfassendes, auf bürgerlich-harmonischen Denkvorstellungen beruhendes Disziplinierungssystem« darstelle, das der »Kanalisierung unkontrollierter Triebe« (S. 39) diene.

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In seinem synthetischen Denken stellt Carus das Leben als einen Wachstumsprozeß vor, in dem das Neue sich organisch gestaltet, durchaus nicht ohne Widersprüche und negative Entwicklungen, doch letztlich in Balance zu bringen. Unschwer ist dahinter Goethes morphologische Vorstellung von Polarität und Steigerung zu erkennen. Überhaupt ist Goethe das Paradigma, das Carus seiner »Lebenskunst« einschreibt. In seiner Autobiographie bekennt Carus sich zu dem großen Vorbild, dessen Dichtung und Wahrheit er in seinen Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten nachzueifern strebt – gewiß ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Versuch. Die zehn Bücher in vier Bänden enthalten eine Mischung von Tagebuch-Eintragungen, Notizen von Reise- und Lektüreeindrücken, Kunsterlebnissen, Begegnungen mit bekannten Zeitgenossen und Exzerpten aus Briefen, die durch überleitende Kommentare verbunden werden. Die Gliederung folgt den chronologischen und topographischen Lebensabschnitten von der Kindheit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Immer wieder erfolgt dabei der Bogenschlag von der Besonderheit individuellen Erlebens zu allgemeinen Reflexionen als ein Versuch, Ich und Welt zu verknüpfen, wie es Goethe in seinen autobiographischen Schriften demonstriert.

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Anders als Kügelgen und Richter veröffentlichte Carus seine Autobiographie zu Lebzeiten noch selbst, so daß kein Herausgeber den Text redigieren oder verändern konnte. Die Resonanz beim Publikum war indessen weit geringer als bei Richter, vor allem aber bei Kügelgen. Eine Ursache dafür war sicher der spröde Ton und die gravitätisch-dozierende Art, die den Leser weniger vergnügte als belehrte.

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In seinen Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten versucht Carus, sich einer Ganzheit zu versichern, zu der ihn sein Ideal der Lebenskunst verpflichtet, ein Ideal, das in Wirklichkeit jedoch kaum einzulösen ist. Das Schreiben seiner Autobiographie ermöglicht ihm, ein Selbstbild zu entwickeln, das seinem Anspruch nahe kommt und seinem Ungenügen an der Realität entgegenwirkt, seine Neigung zur Schwermut künstlerisch produktiv überwindet – mit Recht sieht Knittel darin ein probates Mittel der Selbsttherapie.

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Wilhelm von Kügelgen:
Jugenderinnerungen eines alten Mannes
(1870)

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Das Kernstück der Untersuchung bilden die Jugenderinnerungen eines alten Mannes von Wilhelm von Kügelgen, die 1870 postum von Philipp Nathusius herausgegeben wurden. An ihrem Beispiel kann Knittel die Konstellation »zwischen Idylle und Tabu« am einleuchtendsten nachvollziehen. Kügelgens anrührende Geschichte einer Kindheit, die mit der Ermordung des Vaters ihr jähes, grausames Ende findet, erlangte in einer Vielzahl von Auflagen außerordentliche Beliebtheit und blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Haus- und ›Kultbuch‹, das in keinem gutbürgerlichen Bücherschrank fehlen durfte, aber auch Schriftsteller wie Franz Kafka, Arno Schmidt oder Martin Walser zu inspirieren vermochte.

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Wilhelm von Kügelgen, der Sohn des in Dresden tätigen, seinerzeit sehr erfolgreichen Porträt- und Historienmalers Gerhard von Kügelgen, entwirft vor der dunklen Folie der Bedrohung durch die napoleonischen Kriege ein um so helleres Kindheitsparadies, das Zuflucht und Halt in der patriarchalischen Ordnung der Familie gewährt. Momente des Schreckens und des Todes durchziehen den Text wie Leitmotive, die als Kontrastmittel die Idylle relativieren und, indem sie die latente Gefährdung beschwören, in ihrer Kostbarkeit betonen. Der Vater erscheint als eine Lichtfigur, deren Glanz auf den Sohn fällt, ähnlich überhöht wie Goethe bei Carus. Der Tod Gerhard von Kügelgens, ein traumatisches Erlebnis, auf das der ganze Text kompositorisch zusteuert, bedeutet für Wilhelm die endgültige Vertreibung aus dem Paradies seiner Kindheit.

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Mit der Konstruktion seiner idealen Kinderwelt schafft Wilhelm von Kügelgen eine regressive Utopie, die ein rettendes Gegengewicht zu seinem späteren, durch permanente Kränklichkeit und Schwermut gezeichneten Leben bildet. Nicht einmal die Reise nach Rom (wo er Ludwig Richter kennenlernte) hatte den glücklosen Porträtmaler aufmuntern können. Obschon als Hofmaler nach Ballenstedt berufen, mußte Kügelgen dort hauptsächlich als Betreuer des geistig verwirrten Herzogs von Anhalt-Bernburg fungieren. Schwere persönliche Schicksalsschläge wie der Flammentod seiner Tochter beugten ihn vollends. Als Rettungsanker diente dem literarisch begabten Kügelgen die Niederschrift seiner Jugenderinnerungen, deren sorgsam komponierte Textstruktur, verbunden mit einem humorvollen, authentischen Ton, das Gemüt ganzer Lesergenerationen in Bann schlug.

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In dem Kügelgen gewidmeten Kapitel, dem umfangreichsten des Bandes, überzeugt Knittel in besonderem Maß durch fundierte Kenntnisse und eine plastische, klare Schilderung des Sachverhalts. Dem Autor kommt hier offensichtlich eine langjährige intensive Beschäftigung mit der Materie zugute, hat er doch mit Hans Schöner zusammen Wilhelm von Kügelgens Tagebücher und Reiseberichte 2 sowie eine Sammlung seiner Briefe 3 herausgegeben.

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Ludwig Richter:
Lebenserinnerungen eines deutschen Malers
(1885)

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Mit dem fast gleichaltrigen Richter verband Kügelgen eine enge Freundschaft. Bei allen persönlichen Unterschieden stimmte ihre christlich geprägte, biedermeierlich-bürgerliche Weltanschauung überein. Beide maßen dem aus der Frühromantik resultierenden Ideal der Kindlichkeit hohe Bedeutung zu; Richter hat mit seinen Holzschnitten das Bild einer Kinderwelt für Generationen geprägt.

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Beide stammten sie aus einer Künstlerfamilie; während Kügelgen jedoch im Elternhaus vielseitige, auch literarische Kenntnisse erwerben konnte, blieb Richter ohne nennenswerte Schulbildung und mußte schon früh als Gehilfe des Vaters arbeiten. Es gelang ihm freilich mühelos, seinen Vater, der Kupferstecher war, ebenso zu überflügeln wie seinen Taufpaten, den Landschafter Adrian Zingg. Seine volkstümlichen Holzschnitte brachten Richter als Künstler schon zu Lebzeiten den Ruhm ein, der Kügelgen als Schriftsteller postum durch seine Jugenderinnerungen eines alten Mannes zuteil wurde. Die autobiographische Arbeit des Freundes Kügelgen war für Richter ein Anlaß, selbst mit der Niederschrift seiner Lebenserinnerungen eines deutschen Malers zu beginnen.

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In lockerer Folge erzählt er die Geschichte eines in der Familie behüteten Kindes, das aber auch unmittelbar mit der Armut und mit den Folgen des Kriegs konfrontiert wird, die Geschichte eines mühsamen, oft niederdrückenden künstlerischen Wegs, des Durchbruchs zum eigenen Stil in Italien und der späteren Jahre in Meißen und Dresden bis hin zum erschütternden Tod der Tochter im Jahr 1847. Betrachtungen über Kunst und Künstler – übrigens eine wunderbare kunsthistorische Fundgrube – nehmen breiten Raum ein, ebenso Naturbetrachtungen, die natürlich aus der Perspektive des bildenden Künstlers erfolgen und entsprechende Rückschlüsse erlauben.

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Bescheiden versagt Richter sich literarische Ambitionen und legt einen einfachen, chronologischen Bericht vor, der gleichwohl eine Kette glänzend geschilderter und aussagekräftiger Episoden enthält. Knittel beschreibt sie als »literarisierte Genrebilder« und verweist auf eine immanente Analogie von Richters literarischem und bildkünstlerischem Verfahren. Das ist nicht falsch, doch die Generalisierung verfehlt ihr Ziel, wenn als Beleg für Mängel der Textgestaltung ähnliche Fehler bei einer einzigen Komposition, nämlich bei Richters Gemälde Der Watzmann, nachgewiesen werden. Richter räumt in seinen Erinnerungen ein, jenes Bild sei ohne klare Gliederung als Addition von Details entstanden. Weil Knittel bei Richters Autobiographie ebenfalls eine Detailfülle ohne klare Gliederung konstatiert, geht er vom selben defizitären Strukturprinzip aus, das für ihn die »Krisis des romantisch-biedermeierlich geprägten Subjekts noch deutlicher macht« (S. 13; vgl. auch S. 207 und 230). Dabei versäumt er festzustellen, daß es sich hier wie dort um typische Anfängerfehler handelt: Der Watzmann ist ein Frühwerk von 1824, dessen kompositorische Unstimmigkeiten Richter später bravourös überwindet, und seine Autobiographie ist ein literarischer Erstversuch, der, wie auch viele andere Künstlermemoiren (hier sei noch einmal an Ludwig Emil Grimm erinnert), im Grunde nicht mehr sein will als ein persönliches Erinnerungsbuch.

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Richter, der Idyllenkünstler, konzentriert sich bei der Reflexion seines Lebens auf das bescheidene ›Glück im Winkel‹ und im Zusammenhalt der Familie, ein Thema, das auch seine Holzschnitte so populär machte. Doch er grenzt in seiner Autobiographie die Mißlichkeiten keineswegs aus; ebenso ist ihm bewußt, daß er mit seinen verbreiteten Holzschnitten den Gesetzen des Marktes und keinesfalls seinem im Bannkreis der Nazarener in Rom erworbenen Kunstideal folgt. Auch bei ihm kann der Rückblick auf sein Leben als ein Akt der Versöhnung und Heilung betrachtet werden; nach Knittel stellt es zudem einen Therapie-Versuch für den depressiven Sohn Heinrich dar. Heinrich Richter hat postum die Lebenserinnerungen seines Vaters herausgegeben; wie im Falle Kügelgens erfährt man leider nichts über die ursprüngliche Textgestalt und die Eingriffe der Herausgeber.

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Knittels Analyse dieser drei so unterschiedlichen literarischen Versuche der Selbstheilung in einer verstörenden Zeit gibt dem Leser den Impuls, die Autobiographien selbst vorzunehmen, um darin einen späten Reflex auf das zu suchen, was Clemens Brentano am 21. Januar 1810 Philipp Otto Runge vorgeschlagen hat: »[...] das verlorne Paradies aus seiner Nothwendigkeit zu construiren«.


Dr. Petra Maisak
Freies Deutsches Hochstift
Frankfurter Goethe-Museum
Großer Hirschgraben 23-25
DE - 60311 Frankfurt / M.

Ins Netz gestellt am 29.07.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Bernd Hamacher. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Petra Maisak: Literarische Versuche der Selbstheilung. (Rezension über: Anton Philipp Knittel: Zwischen Idylle und Tabu. Die Autobiographien von Carl Gustav Carus, Wilhelm von Kügelgen und Ludwig Richter. Dresden: w.e.b. Thelem 2002.)
In: IASLonline [29.07.2004]
URL: <http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Maisak3935712103_898.html>
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Anmerkungen

Hermann Korte: Ordnung & Tabu. Studien zum poetischen Realismus. Bonn: Bouvier 1989.   zurück
Wilhelm von Kügelgen: Erinnerungen aus dem Leben des alten Mannes. Tagebücher und Reiseberichte. Hg. von Hans Schöner und Anton Knittel. 2., überarbeitete Aufl. München: Koehler u. Amelang 1996.   zurück
Wilhelm von Kügelgen: Das eigene Leben ist der beste Stoff. Briefe an die Schwester Adelheid, an Wilhelm Volkmann und Ludwig Richter. Hg. von Anton Knittel und Hans Schöner. München: Koehler u. Amelang 1995.   zurück