S. Grüner u.a.: Frankreich - Daten, Fakten, Dokumente

Cover
Titel
Frankreich. Daten, Fakten, Dokumente


Autor(en)
Grüner, Stefan; Wirsching, Andreas
Reihe
UTB 2401
Erschienen
Tübingen 2003: UTB
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Owzar, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Schon seit geraumer Zeit ist an den Historischen Seminaren der Universitäten eine paradoxe Entwicklung zu beobachten: Während immer mehr Lehrende dazu übergehen, die Existenz gesicherter Fakten in Frage zu stellen, scheint unter der Studierenden das Bedürfnis nach Daten und Fakten zu wachsen. Um so größer ist die Nachfrage für solche Epochen und solche Gesellschaften, die zwar zum geschichtswissenschaftlichen ‚Kanon‘ gehören, deren Behandlung aber während der Schulzeit zu kurz gekommen ist. Das gilt u.a. für die Geschichte Frankreichs, die schon allein deshalb von Bedeutung ist, weil sie immer wieder als Kontrastfolie zur Deutung der deutschen Geschichte herangezogen wird.

Die beiden Augsburger Historiker Stefan Grüner und Andreas Wirsching versuchen diesem Desiderat mit ihrem Reader voller Daten, Fakten und Dokumente zur französischen Geschichte der Neuzeit zu begegnen. Ihr erklärtes Ziel ist es, knappe und präzise Informationen zur Wirtschaft, Gesellschaft und Politik Frankreichs zu liefern und diese „zugleich in eine historische Perspektive“ zu stellen (S. IX). Dass die französische Kultur keine Beachtung findet, ist schon bei flüchtiger Sichtung des Inhaltsverzeichnisses zu erkennen. Selbst die recht ausführlich und lehrreich gehaltene Zeittafel (S. 1-18) informiert weder über die Querelle des anciens et des modernes noch über die Aufklärung oder die Bedeutung Emile Zolas in der Dreyfus-Affäre. „Wichtige Daten der französischen Geschichte“ – so die Überschrift dieses Abschnittes – sind nach Ansicht der Verfasser offensichtlich rein herrschaftspolitischer Natur.

Der zweite Abschnitt enthält aus anderen Werken übernommene, durchweg übersichtlich und informationsreich gestaltete Karten, Tabellen und Abbildungen zum Staatsterritorium und zur Verwaltungseinteilung (S. 19-26) sowie zur Bevölkerung (S. 27-43). Es folgt eine Tabelle, die sämtliche zwischen 751 und 1870 herrschenden Dynastien und Regenten Frankreichs [sic!] aufführt (S. 45f.). Sie findet mit Tabellen, in denen die seit 1871 regierenden Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Kammerpräsidenten verzeichnet sind, ihre Fortsetzung im nächsten Abschnitt zur Staatsform und zu den politischen Institutionen seit 1789 (S. 47-74, hier S. 67-74). Von großem Wert ist in diesem Kapitel der ausgezeichnete Abriss der französischen Verfassungsgeschichte. Auf knappstem Raum (S. 47-63) gelingt es Grüner und Wirsching, sämtliche Verfassungen und staatsrechtlichen Zäsuren von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart zu skizzieren und deren Spezifika und strukturelle Probleme pointiert herauszuarbeiten. Für die Dritte, die Vierte und die Fünfte Republik sind Schaubilder beigefügt, die einen raschen Vergleich der drei Verfassungen ermöglichen.

Auch das folgende Kapitel ist hilfreich: Knappe Artikel informieren über Programmatik, Organisation und Einfluss der wichtigsten Parteien (S. 75-90); 28 anschauliche Abbildungen dokumentieren die Kräfteverhältnisse im Parlament seit 1893 (S. 90-101). Weniger problemorientiert fällt das sechste Kapitel aus, das die Entwicklung Frankreichs vom Kolonialreich zur France d'outre-mer dokumentiert (S. 103-117). Es enthält eine ausführliche, den allgemeinen historischen Hintergrund streifende Chronologie der französischen Kolonialgeschichte (S. 103-111), eine Tabelle zur Ausdehnung und zur Bevölkerung des französischen Kolonialreiches in der Zwischenkriegszeit (S. 112) sowie zwei Karten und einige Daten zur heutigen Situation. Von gleichem Umfang ist der folgende Abschnitt zur Wirtschaft (S. 119-134). Er enthält Tabellen zum Bruttoinlandsprodukt, zur Kohleförderung und zur Rohstahlproduktion, zu den Staatsfinanzen und zur Arbeitswelt, zum Verkehr und zum Konsum. Abgerundet wird dieser Teil durch ein Glossar zur historisch-politischen Kultur Frankreichs (S. 135-141), das insbesondere Lesern, die mit der französischen Politik kaum vertraut sind, von großem Nutzen sein dürfte. Dem selbstgesetzten Anspruch, „nützliche Daten und Fakten zur französischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu bieten“ (S. IX), werden somit alle diese Kapitel gerecht. Sie sind durchaus als gelungen zu bezeichnen.

Das kann man leider nicht vom letzten Teil sagen. Dieser ist der umfangreichste: die jeweils zweisprachig, auf französisch und deutsch abgedruckten Dokumente zur französischen Verfassungsgeschichte (S. 142-235) beanspruchen genau 40 Prozent des Gesamtumfangs. Zu viel, denn die Texte sind durchweg auf leichte Weise zu besorgen: Maurice Duverger hat bereits im Jahre 1957 einen Korpus mit Verfassungstexten herausgegeben 1; eine weitere Sammlung hat Jacques Godechot 1970 vorgelegt.2 Und wer des Französischen nicht mächtig ist, kann auf die in vermutlich jeder Universitätsbibliothek vorhandenen zweisprachigen Editionen von Günther Franz 3 und Michael Erbe 4 zurückgreifen. Problematischer noch ist die Entscheidung, ganze Passagen, Präambeln wie Artikel, wegzulassen. Das sei an einem Beispiel, der besonders heftig umstrittenen Charte constitutionelle von 1814/1815, ausgeführt. Bekanntlich entzündete sich die Kritik liberaler Zeitgenossen vor allem an der Präambel Ludwigs XVIII., in der dieser sich als König von Gottes Gnaden legitimierte und den Mantel des Schweigens über die „unheilvollen Abweichungen“ der Jahre 1789 bis 1814 auszubreiten versuchte. Leider fehlt in der vorliegenden Edition nicht nur diese Präambel. Auch zahlreiche Artikel, die von dem Fortbestehen revolutionärer und napoleonischer Errungenschaften zeugen, wurden weggelassen. Ebenso vermisst man diejenigen Bestimmungen, die auf eine Integration des napoleonischen Militärs und Neuadels zielten. Eine angemessene Beurteilung der ‚restaurativen‘ Konstitution ist insofern kaum möglich.

Der Verzicht auf einen solchen fragmentarischen Wiederabdruck wäre mithin vertretbar gewesen. Alldieweil der Platz mit anderen Informationen hätte gefüllt werden können: zum Beispiel mit einer Karte, die die in Frankreich gesprochenen Sprachen verzeichnet, einem biografischen Teil, der die wichtigsten Persönlichkeiten vorstellt, oder einer Bibliografie, die einschlägige Zeitschriften, Überblicksdarstellungen wie die sechsbändige Histoire de France 5 oder Nachschlagewerke wie das Frankreich-Lexikon 6 und den Frankreich-Ploetz 7 aufführt (denn nur sporadisch finden sich Literaturhinweise am Ende eines Abschnitts). Auch ein Kapitel mit Internet-Adressen und Hinweisen zu den Archives Nationales, zur Bibliothèque nationale oder zum Deutschen Historischen Institut wäre sinnvoll gewesen, ebenso ein Personen- und Sachregister.

Kurzum: der Band schöpft nicht alle Möglichkeiten aus. Nichtsdestoweniger kann er als Nachschlagewerk von Nutzen sein. Weniger für diejenigen, die sich als Forscher intensiv mit der französischen Neuzeit beschäftigen: diese werden wohl nach wie vor auf die Originalquellen und die zitierten Werke zurückgreifen müssen. Für Studierende aber sind die von Grüner und Wirsching aufbereiteten Daten und Fakten durchaus zu empfehlen: Sei es zu Zwecken der Prüfungsvorbereitung, sei es als Hilfsmittel für den Unterricht, zur Vor- wie zur Nachbereitung.

Anmerkungen:
1 Duverger, Maurice (Hg.), Constitutions et documents politiques (Thémis. Textes et documents), Paris 1974 [1957].
2 Godechot, Jacques (Hg.), Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970.
3 Franz, Günther (Hg.), Staatsverfassungen. Eine Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart in Urtext, München 1964, hier S. 299-493.
4 Erbe, Michael (Hg.), Vom Konsulat zum Empire libéral. Ausgewählte Texte zur französischen Verfassungsgeschichte 1799-1870 (Texte zur Forschung 50), Darmstadt 1985.
5 Favier, Jean (Hg.), Histoire de France, 6 Bde., Paris 1984-1988.
6 Schmidt, Bernhard; Doll, Jürgen; Fekl, Walther; Loewe, Siegfried, Frankreich-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen, Bd. 2 (Grundlagen der Romanistik 13), West-Berlin 1983.
7 Loth, Wilfried u.a., Frankreich-Ploetz. Französische Geschichte zum Nachschlagen, Freiburg 1988.

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