S. Mecking: Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik

Cover
Titel
Immer treu!. Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik


Autor(en)
Mecking, Sabine
Reihe
Villa ten Hompel Schriften 4
Erschienen
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Stelbrink, Soest

Bei allem Verständnis für die Vermarktungsstrategien der Buchverlage: Die Titel, zumindest aber die Untertitel von Büchern sollten die potentiellen Leser nicht zuletzt möglichst exakt über die jeweiligen Buchinhalte informieren. Weil dieser Grundsatz bisweilen missachtet wird, steht am Beginn der Lektüre des vorliegenden Werkes eine doppelte Enttäuschung. Erstens wird der Leser auch durch den Untertitel völlig im Unklaren darüber gelassen, dass es sich um eine Spezialuntersuchung über die Münsteraner Beamtenschaft handelt. Der Verlag darf seinen Lesern schon zutrauen, dass diese sich der möglichen Stärken und Erkenntnischancen eine Mikrostudie bewusst sind. Ein schamhaftes Verschweigen dieser Untersuchungsperspektive in den bibliografischen Angaben erscheint daher überflüssig. Zweitens ist der Leser angesichts des gewählten Untertitels schon einigermaßen überrascht, das erste Kapitel nach der Einleitung mit den Worten „Die Jahre der Weimarer Republik“ überschrieben zu sehen. Dass dieser zeitliche Ansatz gelegentliche Rückgriffe auf die letzten Jahre des Kaiserreiches erfordert ist selbstverständlich, rechtfertigt aber kaum die weit ausladende Formulierung des Untertitels.

Doch der Reihe nach: Mecking hat also – wie man erst aus der Einleitung erfährt – eine Untersuchung über die Münsteraner Kommunalbeamtenschaft von der Novemberrevolution bis ins Jahr 1952 vorgelegt. Sie fußt auf einer an der Universität Münster angenommenen Dissertation. Unter dem Generalthema „Kontinuität und Diskontinuität [...] auf der untersten Stufe der öffentlichen Verwaltung“ (S. 18) möchte die Autorin „eine Fallstudie zur personellen Entwicklung und zum Verhalten einer Beamtengruppe über gravierende Systembrüche hinweg“ (ebd.) geben. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht insbesondere „die Frage nach den konkreten personalpolitischen Konsequenzen der reichspolitischen Entwicklungen und Zäsuren“ (S. 19). Generelle Thesen über das Berufsbeamtentum sollen dabei „konkret überprüft und gegebenenfalls falsifiziert“ (S. 18) werden. Angesichts der schon oft beschworenen, aber im letzten Jahrzehnt auch verschiedentlich in Frage gestellten personellen Kontinuität in der deutschen Verwaltung des 20. Jahrhunderts liefert Mecking damit einen willkommenen Beitrag zu diesem nach wie vor aktuellen Problem. 1

Mecking benutzte dafür nicht nur ausgiebig die Aktenbestände, Drucksachen und Tageszeitungen des Münsteraner Stadtarchivs, sondern griff auch auf die Überlieferungen der Staatsaufsicht, der Entnazifizierungs- und Spruchkammerakten sowie des NSDAP-Schriftgutes des ehemaligen Document Centers in verschiedenen Archiven des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen zurück. Eine stichprobenartige Überprüfung des Literaturverzeichnisses weist überdies auf eine fast vollständige Berücksichtigung einschlägiger, auch an durchaus entlegener Stelle veröffentlichter Sekundärliteratur hin.

Folglich entledigt sich die Autorin ihrer Aufgabe auf breiter empirischer Grundlage, gewissenhaft und kenntnisreich. Sie gliedert ihren Stoff in drei, jeweils 70 bis 100 Seiten umfassende, ähnlich aufgebaute Kapitel über die Weimarer Zeit, die NS-Diktatur und die Nachkriegszeit. Die Arbeit kulminiert schließlich in einer „epochenübergreifenden Analyse und zusammenfassenden Betrachtung“ von rund 35 Seiten Länge. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt eindeutig auf der obersten Ebene der leitenden Beamten, der „restliche Personalkörper“ (S. 28) der Beamtenschaft findet aber ebenfalls durchgängig Berücksichtigung. Gelegentlich werden auch die städtischen Angestellten und Arbeiter als „Referenzgröße in die Analyse mit einbezogen“ (S. 15). Bei Meckings eingehender Analyse der Personalentwicklung sind nicht zuletzt ihre Betrachtungen über die Konjunkturen der „Zölibatsklausel“ (S. 353) und die „Lückenbüßerfunktion“ (S. 354) der Frauen im Öffentlichen Dienst von besonderem Interesse.

Mecking kann deutlich machen, dass die Novemberrevolution für die Münsteraner Stadtverwaltung keinen nennenswerten Einschnitt bedeutete. Die Bevölkerung der katholischen Hochburg stand den Zielen der Revolution überwiegend distanziert gegenüber, so dass die traditionelle politische Dominanz der Zentrumspartei nie gefährdet war. Daher blieben nicht nur die leitenden Beamten ohne Ausnahme in ihren Ämtern, sondern der gesamte, aus monarchischer Zeit stammende Personalkörper der Stadt konnte geschlossen in die Republik überführt werden. Personalveränderungen waren auch in den folgenden Jahren – so etwa bei dem Entlassungsschub nach der Personalabbauverordnung von 1924 – ausschließlich sachlich und persönlich, nicht jedoch (partei-) politisch motiviert. Neu eingetretene besoldete Stadträte änderten nur wenig an der sozial, konfessionell und politisch homogenen Zusammensetzung dieser akademisch ausgebildeten Verwaltungsspitze. Das seit 1920 amtierende Stadtoberhaupt zählte zu den vielen „Herzensmonarchisten“ (S. 105), die sich lediglich in ihrer Amtsführung als „Vernunftrepublikaner“ leidlich bewährten. Eine bewusste Demokratisierung der Verwaltung fand daher in Münster nicht statt, Parteibuchkarrieren sind nicht nachweisbar.

Nach den Kommunalwahlen vom März 1933 wurde der durch das Zentrum dominierte Magistrat fast vollständig aus dem Amt gedrängt. Die neue Führungsriege unter der Leitung eines ehemaligen Obersteuerinspektors umfasste nun einerseits „Alte Parteigenossen“ der NSDAP, die aufgrund ihrer Herkunft, Ausbildung und Berufskarriere „Außenseiter“ auf ihren Posten waren; stets gehörten der Leitungsetage jedoch auch einige regimekonforme Fachbeamte an, die parteilos waren oder erst nach der Machtergreifung zur NSDAP stießen. Die Ebene der Dienststellen- und Amtsleiter wurde ebenfalls sukzessive neu besetzt. Unterhalb dieser Hierarchieebene war von den personellen „Säuberungen“ jedoch lediglich die winzige Minderheit der jüdischen, sozialdemokratischen und offen regimekritischen Bediensteten – Mecking spricht von 0,9 % aller städtischen Beschäftigten – betroffen. „Die große Masse der [Münsteraner] Verwaltungsangehörigen“ blieb daher „von direkt gegen ihre Person gerichteten Eingriffen verschont. Ihr insgesamt systemkonformes Verhalten, sei es aus Überzeugung, Opportunismus, politischem Desinteresse oder Einschüchterung, machten (sic!) Eingriffe überflüssig“ (S. 217). Die Zahl der aus politischen Rücksichten forcierten Beamtenkarrieren treuer Parteigänger hielt sich in überschaubaren Grenzen. Angesichts der von Mecking konstatierten eindeutigen Mehrheit von „Opportunisten, Verführten oder Eingeschüchterten“ gegenüber den „Vollblutnazis“ (S. 218) erscheint die an exponierter Stelle plazierte, pauschale Titulierung der Beamtenschaft als „Amtswalter der Partei“ (S. 214) denn auch als allzu pointiert.

Eine „Stunde Null“ hat es – so kann Mecking aufzeigen – auch „bei der Stadtverwaltung Münster nicht gegeben“ (S. 319). Trotz des vollständigen Austausches der nationalsozialistischen Spitzenbeamten ist generell eine „bemerkenswerte Ämter-, Aufgaben- und Personalkontinuität“ (ebd.) zu konstatieren. Der (Wieder-) Einzug bewährter, politisch unbelasteter Fachbeamter und Kommunalpolitiker aus der Weimarer Zeit in die Leitungsfunktionen der Stadtverwaltung führte nicht zuletzt – trotz leichter Auflockerungstendenzen – zu einer „Wiederbelebung bürgerlich-konservativer Strukturen und [...] Hemmung sozialistisch geprägter Veränderungsprozesse“ (ebd.). Die Personalpolitik der Nachkriegszeit war wesentlich durch die Bewältigung der Vergangenheit, sprich durch die Entnazifizierung, Wiedergutmachung und Wiedereingliederung der „131-er“ geprägt. Die von den Alliierten ursprünglich angestrebte und auch begonnene umfassende „Säuberung“ der Verwaltung war nach einigen Jahren fast vollständig gescheitert; die zunächst zwangsweise ausgeschiedenen Verwaltungskräfte konnten letztlich – mit Ausnahme der besonders exponierten oder aktiven Nationalsozialisten – in den städtischen Dienst zurückkehren.

Abschließend bekräftigt Mecking uneingeschränkt den berühmten Ausspruch Max Webers, den schon Michael Ruck „von der deutschen Verwaltungsgeschichte des 20. Jahrhunderts [...] eindrucksvoll bestätigt sah: ‚Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden’“2. Mit Recht führt sie diese den politischen Zäsuren trotzende „erstaunliche Beständigkeit“ auf die unentbehrliche „Professionalität“ und die „hohe Anpassungsfähigkeit“ (S. 365) der Bediensteten zurück.

Überlieferungsbedingt erfährt man in Meckings Untersuchung vieles über die Beamten als Objekte der Beamtenpolitik, deutlich weniger jedoch über das einleitend als Untersuchungsobjekt angekündigte „Verhalten einer Beamtengruppe“ (S. 18). Ein weiteres Defizit des Buches ist der Autorin noch weniger anzulasten: Gerade wenn Mecking zusammenfassend feststellt, dass die „Staatsformwechsel von den meisten Beamten lebensgeschichtlich als Einheit, politisch als Bruch und berufsständisch als Kontinuität erfahren worden sind“ (S. 368), ist das eher plausibles Postulat als empirisch abgesichertes Ergebnis ihrer Untersuchung. Tiefere Einblicke in die Köpfe der Beamten, die sich als „Herzensmonarchisten“ (S. 105) zunächst der Weimarer Republik klaglos und effektiv zur Verfügung stellten, daraufhin im „Führerstaat“ als „Gefolgschaft“ nahezu perfekt funktionierten, um schließlich wieder als „Vernunftrepublikaner“ der frühen „Bonner Republik“ zuzuarbeiten, werden mangels geeigneter Quellen wohl auf ewig verwehrt bleiben.

Zu monieren sind daher nur Kleinigkeiten. So macht sich etwa ein gewisser Hang der Autorin zur Redundanz gelegentlich störend bemerkbar. Nicht zuletzt, weil ihre Zwischenergebnisse schon im laufenden Text wiederholt repetiert werden, kann man über die Notwendigkeit von drei eingeschobenen (Teil-) Zusammenfassungen trefflich streiten. Grundsätzliche Ausführungen zur Rechtsstellung der Beamten ohne direkten Bezug zur Untersuchungsgruppe sind bisweilen zu ausführlich ausgefallen. Das nach dem Dezimalsystem tief gestaffelte Inhaltsverzeichnis ohne zureichende optische Gliederung ist recht unübersichtlich. Die im Textverlauf den einzelnen Überschriften stets vorangestellten, oft vierstelligen Zahlenungetüme machen für den Leser immer wieder den mühsamen Kontrollblick auf das verschachtelte Inhaltsverzeichnis notwendig.

Abgesehen davon ist die äußere Gestaltung des Buches aber vorbildlich. 39 Tabellen und 12 Grafiken bereiten die Ergebnisse anschaulich auf. Der Band wird illustriert durch 45 informative Fotografien; dabei sind es weniger die Porträts leitender Beamter mit hochwichtiger Miene und Amtskette, die eine seltsame Faszination auf den Betrachter ausüben, sondern die Blicke in die bedrückende Enge der Amtsstuben, auf Betriebsausflüge und kleine Dienstjubiläen. Separate Verzeichnisse der Abbildungen, Tabellen und Grafiken erleichtern den raschen Zugriff ebenso wie ein Personen- und Ortsregister.

Fazit: Meckings Untersuchung erbringt nichts grundsätzlich Neues oder Überraschendes. Ihr oben bereits erwähntes, ohnehin überzogenes Vorhaben einer eventuellen Falsifikation – angemessener hätte es wohl heißen müssen: begründeten Infragestellung – „allgemeiner Aussagen über das Berufsbeamtentum“ (S. 18) bleibt somit uneingelöst. Trotzdem hat Mecking nicht nur ein gelungenes Kapitel Münsteraner Stadtgeschichtsschreibung vorgelegt. Der unbestreitbar hohe Wert des Buches auch für Nichtmünsteraner liegt in der Bestätigung der oben erwähnten Kontinuitätsthese anhand der lange vernachlässigten kommunalen Beamtenschaft sowie in einer Fülle interessanter Einzelergebnisse. Daher handelt es sich nicht nur um eine gut lesbare, sondern auch um eine uneingeschränkt lesenswerte Veröffentlichung, der man möglichst viele vergleichbare Referenzstudien wünscht.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu den kurzen Überblick von Ruck, Michael, Beharrung im Wandel – Neuere Forschungen zur deutschen Verwaltung im 20. Jahrhundert (I), in: Neue Politische Literatur 42, 1997, S. 200-256, hier S. 200f.
2 Zit. n. ebd., S. 200; vgl. dazu Mecking, S. 366.

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