Titel
Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen


Autor(en)
Demandt, Philipp
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
559 S.
Preis
€ 36,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Hartwig, Stadtarchiv Linz am Rhein

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (S. 287) – zu diesem Ausspruch aus dem Johannes-Evangelium ließ sich die preußische Königin Luise ein Jahr vor ihrem Tod eingedenk der vernichtenden Niederlage Preußens gegen französische Truppen hinreißen, die auch durch das zum Opfergang stilisierte Treffen der Königin mit Napoleon in Tilsit nicht hatte beeinflusst werden können. Nach dem frühen Tod der erst 34-jährigen Luise 1810, die bereits zu Lebzeiten als Ideal von Schönheit und vorbildlichem Lebenswandel verehrt worden war, entbrannte die beispiellose Glorifizierung und Kanonisierung der historischen Gestalt in Gemälden, Statuen und Schriften. Obwohl das „Preußenjahr“ 2001 der seit Jahrzehnten in Vergessenheit geraten Figur eine späte Renaissance bescherte und vor allem Publikationen aus wilhelminischer Zeit die Bibliografie zum Thema auf nahezu 500 Bücher und Aufsätze anwachsen ließ, fehlte es an einer zeitgemäßen, umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung des Mythos Luise. Diese Lücke schließt der Berliner Kunsthistoriker Philipp Demandt mit seiner lesenswerten Studie über den „Luisenkult“, einer Dissertation zur „Unsterblichkeit der Königin von Preußen“, die in 41 zum Teil launig formulierten und zahlreich bebilderten Kapiteln dem Mythos in Kunst und Literatur nachspürt.

Unzählige Darstellungen, Schriften, Briefe, Gedichte, Predigten, Lieder, Theaterstücke und Filme verklären den Tod, beklagen den Verlust, preisen die Tugend, verkünden die Heiligkeit und besingen das nationale Symbol. Gemälde von Luise auf dem Totenbett im Kreise der Familie oder vom Wiedersehen mit den verstorbenen Töchtern im Himmel setzten die „Vorstellung vom schönen Tod gegen das Entsetzen über die Tragödie“ (S. 34). Die Vertraute der Königin, Karoline von Berg, wand in mehreren biografischen Publikationen einen „Kranz um Sancta Louisens Todesurne“ (S. 29). Novalis formulierte die Hoffnung, dass Luises „Gefühl für Alles, was gut und edel und groß ist, ruhen möge auf des Vaterlandes Töchtern“ (S. 217). Im Eröffnungslied der von Achim von Arnim gegründeten Christlich-Deutschen Tischgesellschaft bindet die von Gott gesandte Geisterhand der ewig lebenden Königin den deutschen Stamm gegen die Fremdherrschaft (S. 209). Die nationale Märtyrerin offenbarte gar Züge der Gestalt Christi: „Ein Engel Gottes stieg herab ins Leben, und strahlend schied er zur Unsterblichkeit“ (S. 280f.). Der Niederlage Preußens folgte die „Passion“, der Weg nach Tilsit wurde zum „Dornenpfad“, die Krone Preußens zur „Dornenkrone“ ihr Herz zerbrach an der „Sünde der Welt“ (die Obduktion hatte eine Verwachsung am Herzen ergeben), ihrem Tod folgte der „Ostermorgen der Befreiung Deutschlands“ (S. 287). Der Opfercharakter wurde unterstrichen durch Darstellungen ihres Wegs nach Tilsit als Gang zur Schlachtbank (S. 305) oder der Opferung ihres Haars auf dem Altar des Vaterlands (S. 309).

Für die visuelle Darstellung des Kults waren in den ersten Jahren nach dem Tod der Königin insbesondere Christian Daniel Rauch, Johann Gottfried Schadow und Karl Friedrich Schinkel von Bedeutung. Erster plastischer Ausdruck der Trauer Friedrich Wilhelms III. und später räumliches Zentrum der Verehrung war die marmorne Skulptur auf dem Sarkophag Luises, den Rauch 1811-14 nach Plänen des Königs schuf, und der im von Karl Friedrich Schinkel entworfenen Mausoleum im Charlottenburger Schlosspark aufgestellt wurde. Der Entstehungsgeschichte und dem künstlerischen Charakter der Sarkophagskulptur werden aufgrund ihrer immensen Wichtigkeit als „magisches Objekt“ und „Talisman“ (S. 80) im ersten Teil der Studie mehrere Kapitel gewidmet. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Konkurrenz und Wechselwirkung zwischen Rauch und Schadow, der mit seiner in Porzellan vervielfältigten Doppelstatue der Prinzessinnen Luise und Friederike um die Wende zum Ende des 18. Jahrhunderts zwar einen Verkaufsschlager geschaffen hatte, im Wettbewerb um die Darstellung der Königin gegen Rauch jedoch zunehmend ins Hintertreffen geriet. Rauch und Schadow schufen im Verlauf der Jahre weitere bedeutungsschwere, symbolbeladene Monumente zum Andenken an die Königin, wie das Kreuzbergdenkmal oder die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Weithin in Vergessenheit geraten ist die Verbindung Luises mit dem am 10. März 1813 (dem Geburtstag Luises) von Friedrich Wilhelm III. der preußischen Armee zur Erinnerung an die Königin gestiftete, von Karl Friedrich Schinkel entworfene Eiserne Kreuz.

Mit der Reichsgründung 1871 wurde die Königin zur Kaisermutter, der Luisenkult zum „Staatskult“ (S. 379), der der jungen Nation Ewigkeit verhieß. In den Mittelpunkt der bildlichen Darstellung rückten Motive wie Vergeltung (Luise und Napoleon neben Bismarck und Napoleon III.), Erwachen (Barbarossa entsteigt dem Kyffhäuser, darunter die Sieger von 1813 am Sarg Luises) und Wiedergeburt. Mehrere Statuen zeigen Luise mit ihrem Sohn Wilhelm an der Wiege des Kaiserreichs (S. 409) oder gar als preußische Madonna (S. 406). Dem Weg Luises zur „Mutter der Nation“ (S. 413) ist ebenso ein Kapitel gewidmet, wie ihrem Status als Nationaldenkmal; ein weiterer Abschnitt thematisiert den Urenkel Wilhelm II. Zum Ende des Kaiserreichs stand der Luisenkult augenscheinlich in seinem Zenit. Denn obwohl die Mythologisierung das Ende des Kaiserreichs überdauerte, beschränkt Demandt seine Betrachtung der Jahre ab 1918 auf rund 20 Seiten. Hinweise auf die Deutschnationale Volkspartei, die in der Weimarer Republik auf Wahlplakaten mit dem Konterfei Luises warb, auf den 1923 gegründeten nationalistischen, religiös übersteigerten und antisemitischen Bund Königin Luise sowie die in NS-Zeit vor allem durch den Film „Kolberg“ propagierte todesverachtende Vaterlandsliebe Luises sind für diese Zeit offensichtlich erschöpfend. Ein äußerst knapper Überblick über die Kontroversen bezüglich der kultischen Verehrung selbst in den Hochphasen der Glorifizierung, sowie über die schwindende Rezeption des Mythos in Ost und West nach 1945, als die Identifikation mit nationalen, patriotischen Figuren vor allem in Westdeutschland zunehmend aus der Mode kam, schließen die Studie ab.

Am Ende seiner Ausführungen muss Demandt konstatieren, nicht alle Facetten des Kults erfassen und erklären zu können. Anknüpfend an einen Ausspruch Nietzsches, dass ein vollständig erkanntes und in ein Erkenntnisphänomen aufgelöstes historisches Phänomen, für denjenigen, der es erkannt habe, tot sei, schließt Philipp Demandt: „Und ganz tot ist sie ja nicht, die Königin Luise“ (S. 467).