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Titel
Das 15. Jahrhundert.


Autor(en)
Meuthen, Erich
Reihe
Oldenbourg Grundriss der Geschichte 9
Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
X, 343 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Kolditz, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Zehn Jahre nach ihrer letzten Aktualisierung liegt nunmehr die neue Auflage der deutschsprachigen Standardeinführung in die Geschichte des 15. Jahrhunderts von Erich Meuthen vor. Überarbeitet wurde sie durch die Münchener Mediävistin Claudia Märtl, deren Name sich freilich nicht auf dem Titel findet. Das aber ist nicht nur eine Reverenz vor dem großen Altmeister, der die Aufgabe selbst nicht mehr übernehmen konnte, sondern auch inhaltlich wohl begründet. Summa summarum ist „der Meuthen“ tatsächlich „der Meuthen“ geblieben, jedenfalls in großen Teilen des vorliegenden Buches. Durch eine sehr behutsame Überarbeitung ist es Märtl gelungen, die Balance zu wahren zwischen Meuthens Text und Konzeption einerseits und der notwendigen Aktualisierung eines Werkes andererseits, welches primär auf die Vermittlung des aktuellen Forschungs- und Literaturüberblicks an Studierende abzielt.

Daher hat sich im ersten, darstellenden Teil fast nichts geändert, von minimalen Akzentverschiebungen, etwa bei der Bewertung Kaiser Friedrichs III. (S. 47) oder Richards III. von England (S. 61), abgesehen. Die von Meuthen gewählte Strukturierung des Stoffes in die Bereiche „Land und Stadt“, „Staat und Staatenpolitik“, „Kirche und Frömmigkeit“ sowie „Bildung und allgemeine Kultur“ bestimmt somit nach wie vor auch die beiden anderen Bestandteile eines Oldenbourg-Grundriss-Bandes: den Forschungsüberblick (S. 113-201) und die Bibliografie (S. 203-302). Die hier erkennbaren Veränderungen gilt es insbesondere in Betracht zu ziehen.

In der Darstellung der Forschungsprobleme und -tendenzen hat Märtl ebenfalls den bestehenden Text in weiten Teilen wenig angetastet. Des Autors lebendige Darstellung aus einem Guss mit weitem Horizont und prägnanter Engführung einer bereits in den 1990er-Jahren erdrückend umfangreichen Forschungsliteratur prägt daher nach wie vor diesen Überblick. Die Einfügungen beschränken sich oft auf Hinweise zu wichtigen Neuerscheinungen der letzten Jahre an der systematisch günstigsten Stelle. Andererseits wurden Verweise auf einzelne Titel und selten die Wiedergabe von (bevorzugt unsensibel generalisierenden) Forschungspositionen1 oder Zitaten ohne Beeinträchtigung für den Leser gestrichen. Verdienstvoll ist neben den Verweisen auf aktuelle Großforschungsprojekte, Institutionen und Überblickswerke (etwa S. 189: Fortsetzung des Verfasserlexikons für das 16. Jahrhundert; S. 166: Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches) auch die Anzeige wichtiger elektronischer Recherche-Hilfsmittel, z.B. S. 125 (Catasto), 144 (Residenzenforschung), 176 (Cusanus-Gesellschaft), begleitet von Angaben der Internetadressen im bibliografischen Teil.

Außerdem lässt Märtl in knappen Erwähnungen natürlich auch wichtige neue Forschungstendenzen der letzten zehn Jahre erkennen: so die Behandlung städtischer Randgruppen (S. 133, 138); die Wahrnehmung des Krieges (S. 148), das Stiftungswesen (S. 164), die Kultur der Frauenklöster im 15. Jahrhundert (S. 180), die Nord-Süd-Austauschbeziehungen (S. 183) oder die Präsenz der patristischen Literatur im Humanismus (S. 184). Einigen neuerdings aufgeblühten Richtungen werden darüber hinaus eigenständige neue Absätze zuteil, in ihnen spiegeln sich somit besonders prägende Neuorientierungen der Forschung in jüngster Zeit.

Im zweigeteilten kulturgeschichtlichen Abschnitt akzentuiert Märtl auf diese Weise vor allem die Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Historiografie, zu Reiseberichten und Fremdheitserfahrung sowie Individualität und Autobiografie (S. 178f.); die hierzu in der Bibliografie (S. 281f.) neu angegebene Literatur greift auch auf Titel vor 1995/96 zurück, verdeutlicht aber vor allem eindrucksvoll die neue Breite dieses Gegenstandsfeldes. Insgesamt deutet sich somit eine Aufwertung der vermeintlich traditionell mittelalterlichen (S. 175: „Das ausgehende Mittelalter“), konkret hier eher wahrnehmungsgeschichtlichen Themen gegenüber einer weiterhin erdrückenden Dominanz der Renaissance- und Humanismus-Forschung (siehe S. 181-200) an.

Die umfangreichsten hinzugefügten Absätze finden sich jedoch im Bereich der politischen Geschichte: Hier ist es das wachsende Interesse an Gesandtschaftswesen und Diplomatie, welches seit den 1990er-Jahren zu einem „sprunghaften Anstieg“ (S. 158) der Publikationen geführt habe; eng verbunden damit konstatiert Märtl zudem eine wachsende Aufmerksamkeit für die Rituale der Begegnung und Formen der symbolischen Kommunikation (S. 153f. und 156) sowie für das (durchaus nicht neue, aber lange Zeit eher ein Schattendasein in der Wahrnehmung führende)2 Thema der Türkenfurcht und Türkenkriege und ihrer Auswirkungen auf den Beginn der europäischen Expansion (S. 159f.).

Neben diesen ohne Zweifel für die aktuelle Forschungssituation prägenden Richtungen vermisst man allerdings eine ähnliche Profilierung für die Kernergebnisse der (natürlich angeführten) neuesten Studien zu bereits länger etablierten Fragen und Forschungsschwerpunkten und die damit verbundene Verschiebung von Fragehorizonten. So spiegeln sich die Dynamik und Ausrichtung der jüngsten kirchen- und konzilsgeschichtlichen Forschung nur skizzenhaft wider, etwa kaum im Hinblick auf das Problem der großen Reichs- und Kirchenversammlungen als Foren von Öffentlichkeit, Rhetorik und (humanistischer) Kommunikation.3 Allerdings hätte eine solche Vertiefung wohl einen freieren Umgang mit Meuthens Textgrundlage erfordert. Gerade der erwähnte Themenkomplex „Öffentlichkeit/Kommunikation“ an der Schnittstelle zwischen politischer, kirchlicher und Humanismus-Geschichte zeigt auch, dass eine strikte Kapiteltrennung in diese Bereiche durch die Forschungsentwicklung zunehmend aufgebrochen wird.

Im Hinblick auf den bibliografischen Teil des Buches ist zunächst die Konsequenz hervorzuheben, mit der die Anordnung der Titel verbessert und der Themenabfolge im zweiten Teil angeglichen wurde. Die einzelnen durch zusätzliche Leerzeilen getrennten Absätze enthalten jeweils, in nunmehr alphabetischer Ordnung, die Literatur zu einem auch ohne Überschrift leicht erkennbaren Themenfeld. Bei Überschneidungen zwischen Großkapiteln – so hinsichtlich der italienischen Städte (S. 225f., 249f.) oder des Papsttums (S. 249, 269-273, 293f.) – wird erfreulicherweise auf andere relevante Nummern verwiesen. Die von Märtl ergänzten Titel folgen der – gerade für ein Studienbuch vorbildlichen – europäischen Ausrichtung der Literaturangaben Meuthens mit einem starken Anteil an Publikationen insbesondere in italienischer, französischer und englischer Sprache. Die Beherrschung der allzu schnell wachsenden Publikationsmenge ist offensichtlich gut gelungen: Die Anzahl der Nummern hat sich von über 1500 in der dritten Auflage auf lediglich 1650 bescheiden erhöht. Dass dies bei einer beträchtlichen Anzahl angeführter Neuerscheinungen nicht ohne Streichungen gegenüber der Vorauflage zu realisieren war, liegt auf der Hand. Mitunter ist es gleichwohl zu bedauern, wenn etwa (vielleicht ungewollt?) alle zuvor vorhandenen Titel zu englischen und französischen Städten (3. Aufl. Nr. 333-339) weggefallen sind.4 Mitunter erübrigten sich einige Titel durch neuere Monografien, so im Fall der beträchtlich geschrumpften Machiavelli-Literatur (Nr. 1446-1450) oder auch im Hinblick auf die Hussiten (Nr. 1153-1163)5; einen gangbaren Ausweg stellt auch die Aufzählung mehrerer Titel eines Autors unter einer Nummer dar (etwa Nr. 607: Baum, Nr. 675: Vaughan, Nr. 1069 Hoberg). Weitgehend verzichtet hat Märtl auf die Aufnahme von Quelleneditionen (vgl. S. 203), die auch zuvor nur untergeordnet präsent waren. Der Verweis auf die quellenkundlichen Hilfsmittel, zumal die Quellenkunde von Dotzauer (Nr. 4), kann dies zwar rechtfertigen. Erlaubt sei aber die Frage, ob die gerade für das 15. Jahrhundert oft nicht eben „studentenfreundlich“ aufbereiteten Quelleneditionen bei immer geringerer Präsenz in den Standard-Nachschlagewerken nicht eine weitere Marginalisierung im breiten Bewusstsein erleiden werden.

Erwartungsgemäß zeigt sich bei den neu in die Bibliografie aufgenommenen und sorgsam ausgewählten Titeln ein besonderes Gewicht auf den im Forschungsteil hervorgehobenen Bereichen: Diplomatie (Nr. 796-816), Zeremoniell (Nr. 598-604), Reisen (Nr. 1267-1277) und Individualität (Nr. 1278-1294), aber auch andere Bereiche sind stark von neuer Literatur geprägt, beispielsweise aus Teil D: die Zusammenhänge zur Reformationsgeschichte (Nr. 854-868), Sterben und Memoria (Nr. 905-921), Frömmigkeit (Nr. 973-1012), die Konzilsproblematik und ihre Theoretiker (in Nr. 1086-1148). Erstmals präsent ist eine kleine Gruppe kanonistischer Studien (Nr. 1149-1152). Relativ gering fällt hingegen, wie schon im Hinblick auf den Forschungsteil, das aggiornamento im Bereich „Land und Stadt“ aus. Natürlich bleibt es bei der Fülle neuerer Literatur nicht aus, dass nicht alle wesentlichen Titel ihren Platz in dieser orientierenden Bibliografie finden können, verwiesen sei hier nur auf die fundamentale Studie von Dieter Girgensohn zu Venedig im frühen 15. Jahrhundert 6 und die wichtigen Forschungen von Brigide Schwarz zum kurialen Pfründenmarkt und den Beziehungen zwischen Kurie und Regionen. 7
Gleichwohl schränkt dies den generellen Wert des vorliegenden, bewährten und nunmehr aktualisierten Studienbuches in keiner Weise ein, dessen sorgfältige Aufbereitung auch in einem umfangreichen Register vornehmlich von Sachbegriffen (die Aufnahme eines Autorenregisters wie bei vielen Oldenbourg-Grundriss-Bänden sei angeregt) und der Zeittafel ihren Ausdruck findet.

Anmerkungen
1 So z.B. auf S. 135 nicht mehr Erwähnung der Überlegungen von: Zinn, K. G., Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989 zu einer auf dem Schießpulver gründenden „Überlegenheit“ der europäischen Kultur.
2 Vgl. bereits: Schwoebel, R., The Shadow of the Crescent: The Renaissance Image of the Turk (1453-1517), Nieuwkoop 1967; auch die 3. Aufl. von Meuthens Buch verzeichnete in der Bibliografie (S. 241f.) bereits mehrere Titel zu dieser Problematik, widmete ihnen aber keine Besprechung im zweiten Teil des Buches, ebenso zur europäischen Expansion (ebenda S. 245f.).
3 Angestoßen wurde das Thema bereits durch: Jürgen Miethke, Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15. Jahrhundert, in: DA 37 (1981), S. 736-773; wichtige neuere Beiträge besonders von: Helmrath, Johannes, „Geistlich und werntlich“. Zur Beziehung von Konzilien und Reichsversammlungen im 15. Jahrhundert, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter, Stuttgart 2002, S. 477-517. (Sammelband unter Nr. 566 der Bibliographie); Ders.: Diffusion des Humanismus und Antikerezeption auf den Konzilien von Konstanz, Basel und Ferrara/Florenz, in: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, Göttingen 2004, S. 9-54.
4 Bedauerlich ist auch der Ausfall meist älterer, gleichwohl weiterhin sehr nützlicher Standardwerke, zum Beispiel zum Papsttum: Hofmann, W. von, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden, Rom 1914 (3. Aufl.: 805) oder: Favier, J., Les finances pontificales à l’époque du grand schisme d’occident 1378-1409, Paris 1966 (3. Aufl.: 809).
5 Doch nicht immer scheint diese Methode glücklich. So lassen sich etwa die wichtigen jüngeren Sammelbände zum Konzil von Ferrara-Florenz (vgl. 3. Aufl., Nr. 851f.) kaum durch den Rezensionsaufsatz von J. Helmrath (Nr. 1107) adäquat „auffangen“.
6 Girgensohn, D., Kirche, Politik und adelige Regierung in der Republik Venedig zu Beginn des 15. Jahrhunderts, 2 Bde., Göttingen 1996.
7 Schwarz, B., Römische Kurie und Pfründenmarkt im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), S. 129-152; Dies., Die römische Kurie und das Bistum Verden im Spätmittelalter, in: Immunität und Landesherrschaft. Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden, hg. von Kappelhoff, B.; Vogtherr, T., Stade 2002, S. 107-174 (beispielhaft).

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