D. Willoweit u.a. (Hrsg.): Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa

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Titel
Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa. Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimation


Herausgeber
Willoweit, Dietmar; Lemberg, Hans
Reihe
Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa 2
Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
449 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Mathias Mesenhöller, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Universität Leipzig

Der von Hans Lemberg und Dietmar Willoweit herausgegebene Band „Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa“, hervorgegangen aus einer Doppel-Tagung des Herder-Forschungsrates 2000/2001, bedient zwei Interessen, die das geschichtswissenschaftliche Fragen zuletzt verstärkt anleiten: eine postnationale Perspektive und die historiographische Reflexion. Thematisch vom ubiquitären „Gegensatz zwischen universalistisch orientierten Reichsbildungen einerseits und betont partikularistischer Territorialpolitik [andererseits]“ (Einführung, S. 7) angeregt, stellt er konzeptuell der (Neu-)Erkundung von Vergangenheit für sich die metahistorische Beschäftigung mit der „Ausbeutung der Vergangenheit“ (Matthias Weber) im Zeitalter des souveränen Nationalstaats zur Seite. Der beachtenswerte Mehrwert liegt darin, nicht nur dem modernen Souveränitätsbegriff geschuldete Mißverständnisse der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Realität „zwischenherrschaftlicher“ Beziehungen zu revidieren, sondern zugleich die Genese dieser Verzerrungen aufzuhellen. So entsteht ein gleichsam dreidimensionales Bild.

Daß dabei rechts- und verfassungshistor(iograph)ische Fragestellungen dominieren, ergibt sich aus der leitenden Hinsicht. Die zeigt sich von Heinhard Steigers Begriffsbildung des „Zwischen-Mächte-Rechts“ inspiriert, mithin dem Versuch eines Völkerrechtlers, der „Epoche der Präsouveränität“ beizukommen (Willoweit, S. 275). Insgesamt erweist sich der Ansatz als fruchtbar genug, einen Band zu tragen; größere Methodenvielfalt zur Ergebnisabsicherung einzufordern, könnte sich legitimerweise allenfalls an ein Folgeprojekt richten. Was man hingegen vermißt, ist eine ausgiebigere systematische Zusammenschau der – überwiegend lesenswerten - Einzeluntersuchungen, die zumal den erheblichen komparatistischen Gehalt noch einmal pointieren würde. Und auch ein Register, das den Band erschlösse, fehlt.

Gravierender scheint, daß die kritische Auseinandersetzung mit dem Herkommen den Strukturvorgaben des Herkommens verhaftet bleibt. Der Untersuchungsrahmen „Ostmitteleuropa“ schränkt den Gesichts- wie den Autorenkreis auf die üblichen Verdächtigen ein: Deutsche, Polen und Tschechen konzentrieren sich auf Schlesien, Böhmen, das Preußenland, mit Ausblicken auf Litauen und Livland, Kroatien, Ungarn, den Balkan. Dieser „interne“ Fokus auf ein recht selektives „Ostmitteleuropa“ und seine Reiche – de facto geht es um das Heilige Römische und Polen-Litauen – liest sich etwas eng. Was institutionell naheliegt, spricht um so stärker gegen die eingeschliffene disziplinäre Kompartementierung: Solange die von Willoweit geäußerte Hoffnung unerfüllt bleibt, „zwischenherrschaftliche Beziehungen im allgemeinen und das dazugehörige Zwischen-Mächte-Recht als einen länderübergreifenden Verfassungstypus zu deuten und zu erproben“ und dazu etwa auch „die burgundischen Territorien und die Alpenregion“ heranzuziehen (Willoweit, S. 284), verpufft die Stärke mancher Einsicht in Regionalkolorit.

Für sich genommen ist der Band mit seinen 21 Beiträgen und 450 Seiten nichtsdestoweniger reichhaltig, über weite Strecken instruktiv, durchgängig solide. Wie bei derartigen Sammlungen unvermeidlich bleibt der eine oder andere Beitrag im Konventionellen, wärmt noch einmal auf oder mag der Programmatik dann doch nicht konsequent folgen. Das Anliegen, die „Verständnisgeschichte des Themenkreises ‚Reiche und Territorien’ auf einen neuen Weg zu lenken“ (Einführung, S. 12), ist eventuell etwas satt herangetragen an ein einzelnes Buch. Gleichwohl: Der Band stellt einen Beitrag, und einen einsichtenreichen Beitrag, zur Neuorientierung dar.
Hier der Inhalt in Kurztiteln:

I.
M. Weber: Historiographische Bearbeitung der Stellung Schlesiens zwischen dem Heiligen Römischen Reich, Polen und Böhmen

M. J. Ptak: Schlesiens Beziehungen zu Polen, Böhmen und dem Reich

B. Jähnig: Politische und rechtliche Außenbeziehungen des Herzogtums Preußen (1525 - 1660)

J. Mallek: Herzogtum Preußen und Königreich Polen (1525 - 1657)

S. Salmonowicz: Königliches Preußen und polnisch-litauischer Staat (1466 - 1772)

R. Schmidt: Lauenburg und Bütow in ihrer wechselnden Zugehörigkeit zum Orden, Pommern und Polen und zu Brandenburg-Preußen

B. Dybas: Livland und Polen-Litauen nach Oliva

M. Niendorf: Rechtliche und politische Beziehungen zwischen Polen und Litauen in Mittelalter und Früher Neuzeit

K. Malý: Der böhmische Staat – Teil des Reiches?

P. Moraw: Böhmen und das Reich im Mittelalter

H.-J. Karp: Universalkirche und kirchlicher Partikularismus in Ostmitteleuropa. Die exemten Bistümer [Kammin, Ermland, Breslau; 12. - 18. Jh.]

J. Bahlcke: Ungarn und die Reichskirche

Th. Brückner: Herrschaftsverbindende Funktionen des Lehnsrechts [systematischer Überblick mit Konzentration auf das Reich]

D. Willoweit: Zwischenherrschaftliche Beziehungen in der mittelalterlichen Welt [programmatische Zusammenfassung]

II.
G. v. Pistolkors: Die Livländischen Privilegien – Deutungen und Umdeutungen

M. Rezník: Deutsch-polnische Auseinandersetzungen um den „Historischen Charakter“ Pomerellens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

R. Gehrke: Das „piastische“ Schlesien im polnischen Westgedanken

P. Haslinger: Böhmisches Staatsrecht und tschechisches Emanzipationsbestreben 1890 - 1914

F. Hadler: Das Großmährische Reich: Deutungskämpfe im 20. Jahrhundert

W. Kessler: Historisches Recht in der politischen Kultur Kroatiens im 19. Jahrhundert

W. Höpken: Staatlichkeit, Ethnogenese und Kultur: Nationale Identitätskonstruktionen auf dem Balkan im 19. und 20. Jahrhundert

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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