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Titel
Die Vandalen. Etappen einer Spurensuche


Autor(en)
Castritius, Helmut
Reihe
Urban-Taschenbücher 605
Erschienen
Stuttgart 2007: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 17,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Syrbe, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Das vorzustellende Buch des emeritierten Braunschweiger Professors für Alte Geschichte, Helmut Castritius, erweitert die Serie der bei Kohlhammer erschienenen monographischen Darstellungen zu den völkerwanderungszeitlichen und frühmittelalterlichen germanischen gentes und ist gleichzeitig – abgesehen von einigen eher populärwissenschaftlichen Beiträgen – das erste Überblickswerk zu den Vandalen seit Hans-Joachim Diesners Arbeit von 1966. Castritius’ Monographie basiert auf dem ebenfalls von ihm verfassten Artikel „Wandalen“ im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde.1

Am Anfang stehen, so der Titel des ersten Kapitels, „Statt einer Einleitung: Vandalenbilder“ (S. 9–14). In einer tour d’horizont stellt Castritius dem weitgehend eindimensionalen Vandalenbild der Gegenwart, das in erster Linie am im 18. Jahrhundert geprägten Vandalismusbegriff orientiert ist, die Vielschichtigkeit der antiken Bilder gegenüber. Als grundlegendes, unerlässliches Vorverständnis referiert Castritius Reinhard Wenskus’ Modell der „Traditionskerne“ als verbindendes Element der germanischen gentes (S. 13f.). Der eigentliche Einstieg in die historische Materie erfolgt mit dem zweiten Kapitel, „Die Anfänge im Licht der Schriftquellen“ (S. 15–20). Als grundlegendes Problem, das dieses und die folgenden fünf Kapitel durchzieht, erweist sich die meist nur „flüchtige, streiflichtartige Erwähnung der Vandalen in den Quellen“ (S. 29). Die ersten Hinweise auf die Vandalen in der antiken Literatur seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert sind schlicht dem „Zufall der Überlieferung“ (S. 15) geschuldet und bieten kaum substantielle Informationen. Im 1. und 2. Jahrhundert dürften die Vandalen dem Verband der Lugier angehört haben und konnten unter deren Namen subsumiert werden (S. 16). Einen Überlieferungsstrang mit hoher Bedeutung für die vandalische Frühgeschichte sieht Castritius in den germanischen Herkunfts- bzw. Stammessagen, die zwar erst sehr spät verschriftlicht wurden, jedoch authentisches Material aus wesentlich früheren Epochen tradieren. Zwar ist für die Vandalen keine eigene origio gentis überliefert, jedoch bietet die der Langobarden Indizien für eine Lokalisierung der Vandalen „irgendwann in den letzten drei vorchristliche Jahrhunderten“ (S. 19) an der südlichen Ostseeküste, im Bereich der Insel Rügen und des gegenüberliegenden Festlandes (S. 18f.).

Das dritte Kapitel sucht „Wohnsitze und Siedelgebiete der frühen Vandalen“ (S. 21–24). Unter weitgehender Gleichsetzung der Vandalen mit den Lugiern, „seien nun beide identisch oder die Vandalen den Lugiern bzw. die Lugier den Vandalen unterzuordnen“ (S. 22), verortet Castritius das Siedlungsgebiet der Lugier im Raum nördlich der Sudeten und Westkarpaten zwischen Oder und Weichsel bis zur mittleren Warthe und wirft anschließend die „Frage nach der ethnischen Deutung der materiellen Hinterlassenschaften in jener Großregion“ (S. 22) auf. Castritius trägt zwar auch die kritischen Argumente gegen eine solche ethnische Interpretation archäologischer Kulturgruppen vor, plädiert aber letztlich dafür, die „Lugier bzw. Vandalen“ mit der sogenannten Przeworsk-Kultur zu identifizieren. Diese Frage einer ethnischen Deutung polarisiert grundsätzlich:2 Im Fall der Vandalen/Lugier und der Przeworsk-Kultur liegt das Problem zum einen darin, dass die von Castritius umrissene Region den Lugiern zuzuweisen ist, das Verhältnis von Lugiern und Vandalen aber letztlich aufgrund der Überlieferungslage weitgehend unklar bleibt. Zum anderen wirft die Identitätsbildung der germanischen gentes nach dem Modell von Wenskus, dem Castritius folgt (S. 13f.), die Frage auf, ob der identitätsstiftende Traditionskern einer gens in einer archäologischen Kulturgruppe, die in erster Linie eine Kategorisierung nach dem gegenwärtigen Forschungsstand der Archäologie darstellt, überhaupt einen signifikanten materiellen Niederschlag findet. Zumindest wird man davon ausgehen müssen, dass eine lineare Identifizierung der Przeworsk-Kultur mit Vandalen bzw. Lugiern vor dem Hintergrund der Beschreibung der Lugier als Verband aus mehreren Teilstämmen zu kurz greift.3 Sehr skeptisch stimmt die von Castritius auf der ethnischen Deutung der Przeworsk-Kultur aufgebaute Hypothese, der zufolge der „Ausweitung und Veränderung der [archäologischen] Kulturprovinz eine Wanderung der Träger zugrunde lag“ (S. 23).4

In der Zeit der Markomannenkriege (166–182) traten „Die Vandalen in der unmittelbaren Peripherie des römischen Weltreiches“ (Kapitel 4, S. 25–28) auf. Der Versuch einer Ansiedlung im Bereich des römischen Dakiens scheiterte. Im Ergebnis des Krieges bildete das vandalische Siedlungsgebiet außerhalb des römischen Reiches „eine Art römisches Protektorat“ (S. 27). Castritius sieht die Ursache für den Vorstoß nach Dakien darin, dass die Vandalen bereits zu diesem Zeitpunkt „bewusst oder unbewusst Opfer eines Akkulturationsprozesses“ waren, den er unter dem Begriff „Verreiterung“ zusammenfasst; „die Stationen eines solchen Prozesses lassen aus Bauern und/oder Viehzüchtern Seminomaden und aus diesen reine, unproduktive Schmarotzer werden, die, wenn das unterworfene bäuerliche Substrat nicht mehr vorhanden ist oder zu wenig produziert, auf Raub und Plünderung oder auf Unterstützung in Form von Subsidien für geleistete Dienste […] angewiesen ist“ (S. 26). Der Begriff der „Verreiterung“ geht auf Herwig Wolfram zurück, der damit aber die zunehmende Verlagerung des militärischen Schwergewichtes der Goten hin zu berittenen Kämpfern beschrieb. Dieser Prozess wurde wesentlich durch die Anbindung äußerer Gruppen an den gotischen Verband beeinflusst und hatte durchaus weitreichende Veränderungen der Sozialstruktur zur Folge.5 Castritius fügt dieser Beschreibung nun eine wirtschaftliche Komponente hinzu. Einen ähnlich erweiterten Begriff der „Verreiterung“ gebrauchte bereits Gideon Maier, der damit auf die wirtschaftlich-organisatorischen Grundlagen der Mobilität der völkerwanderungszeitlichen Verbände abzielte.6 Castritius zeichnet die Dichotomie zwischen sesshaften und mobilen Lebensformen, die er als kaum reversibel betrachtet, aber zu scharf: Es existierten immer Überschneidungen und Übergangsbereiche zwischen beiden Lebensformen. Die Abwertung der mobilen Existenz – Castritius suggeriert im Prinzip die Gleichsetzung von Nomaden und Schmarotzern – zielt letztlich an der eigentlichen Kernfrage nach der wirtschaftlichen Organisation der germanischen gentes in ihren Migrationsphasen vorbei.7

Nach einem Überblick über die Vandalen im 3. Jahrhundert (Kapitel 5: „Römer, Vandalen und Goten bis zum Ende des 3. Jahrhunderts“, S. 29–33) wendet sich Castritius „Struktur und Verfasstheit der frühen Vandalen“ (Kapitel 6, S. 34–41) zu. Das wesentliche Strukturmerkmal der vandalischen gens war die Doppelanführerschaft. Deren religiös-sakrale Verankerung begründet Castritius mit den kultischen Namen der vandalischen Anführer, die auf die germanischen „hölzernen und menschengestaltigen Pfahlgötzen verwiesen“ (S. 37f.). Das siebte Kapitel thematisiert „Die Vandalen im 4. Jahrhundert und der Beitrag der Goten zu einer vandalischen Identität“ (S. 42–45). Das „Wechselverhältnis von Nähe und Distanz“ zu den Goten schärfte die vandalische Identität und stellte „die Zusammengehörigkeit der Vandalen“ her (S. 42). Die wiederholten Berichte über Niederlagen der Vandalen müssen aber nicht zur Schlussfolgerung führen, dass eine besondere Bindungskraft ein Auseinanderbrechen der vandalischen Gemeinschaft verhinderte (S. 42). Da diese Darstellungen letztlich aus Quellen stammen, in deren Focus nicht die Vandalen, sondern andere gentes standen, sollte ein spezifisches Überlieferungsproblem in Betracht gezogen werden.

Das Kernstück des Buches ist Kapitel 8: „Das – kurze – Jahrhundert der Vandalen (405/6–484)“ (S. 46–128), in dem zwei historische Phasen der vandalischen Geschichte – die spanische und die afrikanische – zusammengefasst sind. Die Vandalen gehörten zum vom Goten Radagais geführten Heeresverband, der 405 die mittlere Donau überschritt. Vandalen und Alanen spalteten sich nach dem Eintritt in das Römische Reich ab und rückten in Richtung Rhein vor (S. 48). Bei der Datierung des Rheinüberganges greift Castritius die von Kulikowski formulierte These auf, nach der dieses Ereignis nicht am Jahreswechsel 406 zu 407, sondern bereits ein Jahr früher (405/406) erfolgte, entscheidet diese Frage letztlich aber nicht ausdrücklich.8 Gallien durchquerte der Heereszug auf mehreren verschiedenen Wegen, ohne dass es zu Ansiedlungsversuchen kam (S. 54–57). Das Vordringen auf die iberische Halbinsel begünstigten innerrömische Konflikte. 410 oder 411 wurde mit dem Usurpator Maximus ein Ansiedlungsvertrag nach den Regeln der hospitalitas geschlossen (S. 60). Die Situation der Vandalen verschlechterte sich aber, als die ravennatische Regierung in Spanien wieder die Oberhand gewann und wurde bedrohlich, als die Westgoten in Südostgallien, in unmittelbarer Nachbarschaft der Vandalen erschienen (S. 63–67).

Der Übergang nach Nordafrika, das „wohl schon lange im Visier der vandalischen Könige und ihrer Führungselite“ (S. 76) stand, leitete die bedeutendste Phase der vandalischen Geschichte ein, die in der zweiten Staatsgründung 442 als „Geburtsstunde eines im Verhältnis zum Römerreich souveränen, völkerrechtlich unabhängigen Barbarenstaates“ (S. 97) ihren Höhepunkt fand. Dieser Schritt markierte den „Beginn eines neuen, vom Königtum ausgehenden Herrschafts- und Reichsverständnisses“ (S. 98). Das arianische Christentum der Vandalen, das bereits von der innergermanischen Mission wohl „schon vor der Mitte des 4. Jahrhunderts“ geprägt worden war (S. 72–76), avancierte dabei zu einem identitätsstiftenden Faktor, der den Zusammenhalt der Vandalen festigte. Castritius relativiert die Bedeutung der Vandalen als Seefahrernation. Eine eher „lose Kontrolle“ des westlichen Mittelmeeres sicherten Stützpunkte und Häfen (S. 112). Seeschlachten führten die Vandalen aber nicht, dagegen war eine kapazitätsstarke Transportflotte das Rückgrad der militärischen Schlagkraft (S. 124). Bereits am Ende der Herrschaft Geiserichs zog mit dem instabilen Verhältnis zu den indigenen Mauren ein ernstes Problem auf. Unter den nachfolgenden vandalischen Königen erwuchs daraus ein entscheidendes strukturelles Defizit (S. 123 u. 125), das zusammen mit den religiösen Differenzen zur romanischen Bevölkerung die spätvandalische Phase prägen sollte (Kapitel 9: „Noch ein halbes Jahrhundert: Von Gunthamund bis Hilderich. 484–530“, S. 129–135).

Im zehnten Kapitel behandelt Castritius „Staat und Gesellschaft im vandalischen Nordafrika“ (S. 136–158) und streicht dabei die kulturellen Leistungen der Vandalenzeit heraus. Das Ende des nordafrikanischen Vandalenreiches läutete 530 die Usurpation Gelimers ein (Kapitel 11: „Die Usurpation, die ein Ende war“). Den Untergang der Vandalen bewirkte in militärischer Hinsicht „die Persönlichkeit des oströmischen Befehlshabers Belisars“ (S. 161), die tieferen Ursachen lagen aber vielmehr im Scheitern der vandalischen Religionspolitik und der Unfähigkeit, sich gegen die Mauren zu behaupten (Kapitel 12: „Die Vandalenherrschaft in Nordafrika – ein gescheitertes Experiment“, S. 163f.). Das Vandalenreich bewertet Castritius aufgrund der kompromisslosen Religionspolitik als „das vielleicht ideologischste Staatswesen“ der Völkerwanderungszeit (S. 164). Das letzte Kapitel des Buches (Kapitel 13: „Was blieb von den Vandalen? Zur Aktualität des Vandalenthemas“, S. 165–167) ist der Rezeptionsgeschichte gewidmet. An erster Stelle steht die praktisch unvermeidliche Paraphrase der Entstehung des Vandalismus-Begriffes. Castritius geht über diesen Standard hinaus, skizziert die mittelalterliche und frühneuzeitliche Rezeption der Vandalen als Legitimierung von Herrschaftsansprüchen und schlägt einen Bogen bis hin zu politisch motivierten Stilisierungen in der Gegenwart. Das Buch wird durch ein Quellenverzeichnis, ein leider etwas knappes, teilweise kurz kommentiertes Literaturverzeichnis, in dem einige Titel, auf die Castritius Bezug nimmt, fehlen, sowie eine Stammtafel der hasdingischen Königsfamilie und ein ausführliches Register vervollständigt.

Über die angesprochenen Kritikpunkte hinaus legt Castritius insgesamt ein sehr gut lesbares, im Grunde überfälliges Überblickswerk zu den Vandalen vor, das sowohl ein allgemein historisch interessiertes Publikum als auch den engeren Fachkreis ansprechen dürfte. Da Castritius im Text wiederholt explizit auf Forschungskontroversen verweist (z.B. S. 77), ist es bedauerlich, dass im Anmerkungsapparat nur Quellennachweise verzeichnet sind, auf weiterführende Literaturhinweise aber verzichtet wird. Die Konsequenz ist, dass für den über die unmittelbare Lektüre dieser Einführung hinaus interessierten Leser Castritius’ RGA-Artikel zu den Vandalen ein unverzichtbarer Paralleltext bleiben wird.

Anmerkungen:
1 Diesner, Hans-Joachim, Das Vandalenreich. Aufstieg und Untergang, Stuttgart u.a. 1966; Castritius, Helmut, Art. „Wandalen“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 33 (2006), S. 168–209.
2 Zur ethnischen Deutung jetzt Brather, Sebastian, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen, Berlin u.a. 2004, hier bes. die kritischen Grundaussagen und wissenschaftsgeschichtliche Einordnung S. 1–27 und 517ff.
3 So auch Brather, Interpretationen, S. 199–201.
4 Dazu Brather, Interpretationen, S. 551–559. Die Verbreitung der Przeworsk-Kultur unterlag erheblichen Schwankungen. Zur Przeworsk-Kultur vgl. Dabrowska, T.; Maczynska, M., Art. „Przework-Kultur“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 23 (2003), S. 540–567, die die Przeworsk-Kultur letztlich aber auch ethnisch ausdeuten.
5 Wolfram, Herwig, Die Goten, 3. Aufl., München, 1990, S. 173–175.
6 Maier, Gideon, Amtsträger und Herrschaft in der Romania Gothica, Stuttgart 2005, S. 45–48.
7 Zur Konstruktion der Dichotomie zwischen Nomaden und Sesshaften vgl. Leder, Stefan, Nomadic and Sedentary Peoples – A Misleading Dichotomy? The Bedouin and Bedouinism in the Arab Past, in: Leder, Stefan; Streck, Bernhard (Hrsg.), Shifts and Drifts in Nomad-Sedentary Relations, Wiesbaden 2005, S. 401-415.
8 Kulikowski, Michael, Barbarians in Gaul, Usurpers in Britain, in: Britannia 31 (2000), S. 325–345. Der Aufsatz wird im Buch weder zitiert noch im Literaturverzeichnis aufgeführt; in seinem RGA-Artikel schließt sich Castritius aber Kulikowski an: Castritius, Wandalen, S. 178.

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