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Titel
Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage, 1933-1941


Autor(en)
Urban, Markus
Erschienen
Göttingen 2007: V&R unipress
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Mit vorliegender Arbeit wurde Markus Urban an der Universität Erlangen-Nürnberg bei Professor Gregor Schöllgen promoviert. Das umfangreiche Werk nimmt die bisher nur unzureichend thematisierte Funktion und Wirkungsgeschichte der größten Feste im nationalsozialistischen Feierjahr in den Blick. In Ergänzung zu bisher vorliegenden Forschungen liefert der erste Teil der Arbeit zunächst eine Darstellung von Idee, Struktur und Entwicklung der Reichsparteitage.1 Im Anschluss werden Präsentation und Wahrnehmung der Parteitage in Nürnberg selbst, also eher die Binnenperspektive, unter anderem von Parteitagsteilnehmern und der Parteielite, thematisiert. Der umfangreichste Teil der Arbeit nimmt die mediale Präsentation der Reichsparteitage und ihre Wirkung im Deutschen Reich in den Blick. Dem folgen zwei kurze Kapitel zur Wahrnehmung der Reichsparteitage in Großbritannien und zur sakralen Dimension der Inszenierungen, ehe Markus Urban die Hauptthesen seiner Arbeit abschließend zusammenfasst.

Markus Urbans Forschungen erweitern zunächst unser Bild von der organisatorischen Abwicklung der Reichsparteitage sowie der Intentionen der Veranstalter. Insbesondere das wenig professionelle Handeln der Reichsorganisationsleitung unter Robert Ley – in Konkurrenz zu anderen Akteuren – war so bisher nicht bekannt. Zu Recht betont Urban die ständige Veränderung und Erweiterung des Parteitagsgeschehens und arbeitet, auch anhand der Planungen für die – nicht mehr stattgefundenen – Parteitage nach 1938, die Dynamik des Geschehens heraus. Der Zwang einer permanenten inszenatorischen Steigerung war jedoch letztlich zum Scheitern verurteilt. Schon nach wenigen Jahren waren Teilnehmer nur noch ungern bereit, zum wiederholten Mal den erheblichen Aufwand eines sich nun über mehr als eine Woche hinziehenden Parteitags auf sich zu nehmen.

Die Reichsparteitage insgesamt stellt Markus Urban als teilweise chaotisch organisiertes, nur mäßig erfolgreiches, in manchen Teilen auch vollständig gescheitertes Propagandaunternehmen dar. Dieser Befund mag vor dem Hintergrund der weithin bekannten Aufnahmen Leni Riefenstahls für „Triumph des Willens“ überraschen.2 Es gelang den Nationalsozialisten jedoch wohl nur mit diesem Film einigermaßen, das Parteitagsgeschehen und seine Faszination medial zu transportieren. Die anderen Medien (Rundfunk, Fernsehen, Presse sowie Publikationen aller Art) berichteten zwar zum Teil sehr ausführlich über die Ereignisse, konnten jedoch den Kern, vornehmlich die direkte Konfrontation zwischen Führer und Gefolgschaft sowie die emotionale Wirkung der Hitler-Reden, nur unzureichend vermitteln. Das Parteitagsgeschehen blieb – so Urban – in seiner emotionalen, Anhänger und Zuschauer fanatisierenden Wirkung lokal auf den Veranstaltungsort Nürnberg und auf die Teilnehmer vor Ort begrenzt.

Dennoch erfüllten die Reichsparteitage einige der Intentionen der Veranstalter. Sie funktionierten als Selbstlegitimation der Partei, beeindruckten die anwesenden Teilnehmer und Gäste des Auslands durchaus und dienten als Probelauf für die militärische Mobilisierung der Volksgemeinschaft. Auch die Parteielite selbst schwelgte in den selbstgeschaffenen Ritualen und wollte an sie glauben. So war der Parteitag, wenn auch mit nur eingeschränkter reichsweiter Wirkung ausgestattet, dennoch eine großangelegte „Messe“ in einem doppelten Wortsinn als Leistungsschau und Gottesdienst. Einerseits gelang es den Organisatoren trotz vielfältiger selbstverschuldeter Pannen und trotz Kompetenzwirrwarr, die Zahl ausländischer Gäste kontinuierlich zu steigern. In Nürnberg wurden Geschäfte abgeschlossen, Kontakte gepflegt und an der eigenen Karriere gearbeitet. Die ausländischen Gäste transportierten in der Regel zumindest einen eingeschränkt positiven Eindruck von den Zuständen im nationalsozialistischen Deutschland in ihre Heimatländer. Andererseits entwickelte sich ein sakraler Kult, der, als langfristiges Projekt angelegt, letztlich den christlichen Kirchen Konkurrenz machen sollte. Die Bedeutung dieses Nürnberger Kults für Hitler und manche Parteigrößen wird vor allem in ihren Visionen für die zukünftige bauliche und kultische Entwicklung deutlich oder beispielsweise in dem Wunsch Albert Speers und Robert Leys, nach ihrem Ableben auf dem Reichsparteitagsgelände begraben zu werden.

Markus Urban breitet Funktion und Rezeption der Reichsparteitage anhand eines umfangreichen Quellenstudiums in deutschen und englischen Archiven ausführlich und vielleicht etwas zu detailreich aus, etwa was den Blick hinter die Kulissen der Parteitagsorganisation betrifft. Auch die weitgehend unbestrittene sakrale Dimension der Parteitagsveranstaltungen ist etwas ausführlich hergeleitet. Auf der anderen Seite hätte man sich eine zumindest kursorische Einbeziehung der Forschungen zur Presseberichterstattung über die Reichsparteitage im Ausland gewünscht.3 So bleiben Markus Urbans Forschungen zur Wahrnehmung der Reichsparteitage in Großbritannien, welche interessante Einblicke in das diplomatische Geschäft und die Rolle der britischen Botschafter bieten, etwas unverbunden.

Was die Deutschen von den Reichsparteitagen wirklich hielten, inwieweit sich breite Bevölkerungskreise von Presse- und sonstiger Medienberichterstattung beeinflussen ließen, kann auch Markus Urban nicht abschließend beantworten. Dies wurde zeitgenössisch nicht abgefragt und ist im Nachhinein nur noch schwierig zu klären. Helfen könnten aber dennoch eine genauere Untersuchung der Zeitungsberichterstattung und die weitere Suche von Reaktionen auf die Reichsparteitage aus einfacheren Volksschichten. Hier hat Urban Forschung zu drei überregionalen Zeitungen und einem lokalen Blatt vorgelegt, was noch ergänzt und vor allem durch Berichte aus anderen Städten und Regionen zu einem verlässlicheren Bild führen könnte. Die schmale Quellenbasis für die Einschätzung, es deute einiges darauf hin, dass „viele Leser den idealisierenden Zeitungsartikeln skeptisch gegenüberstanden“ (S. 310), kann nicht wirklich befriedigen. Auch ist eine wohl unvermeintliche Schieflage bei den Quellen dahingehend festzustellen, dass insbesondere prominente Gäste, führende oder höherrangige Beteiligte am Parteitagsgeschehen ihre Eindrücke in Akten und Publikationen niedergelegt haben. Von den einfachen Parteitagsteilnehmern und Zuschauern sind dagegen wenige Reaktionen überliefert, obwohl doch sie der eigentlich wichtige Adressat der Reichsparteitagspropaganda waren.

Ob der Parteitag damit tatsächlich als „Konsensfabrik“ funktioniert hat, wie der ehrgeizige Titel der Arbeit nahe legt, ist damit nur zum Teil geklärt. Wir wissen nun mehr über die Produktion des Parteitags durch verschiedene Akteure und ihre Intentionen. Die Wirkung des Produkts selbst wäre aber, trotz der eindrucksvollen Arbeit Markus Urbans, noch weiter zu erforschen.

Anmerkungen:
1 Dietzfelbinger, Eckart; Liedtke, Gerhard, Nürnberg - Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände. Vorgeschichte und schwieriges Erbe, Berlin 2004; Doosry, Yasmin, „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen...“. Studien zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Tübingen 2002; Schmidt, Alexander, Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. 4. Aufl. Nürnberg 2005 (zuerst 1994); Zelnhefer, Siegfried, Die Reichsparteitage der NSDAP. Geschichte, Struktur und Bedeutung der größten Propagandafeste im nationalsozialistischen Feierjahr. 2. Aufl. Nürnberg 2002 (zuerst 1991).
2 Loiperdinger, Martin, Rituale der Mobilmachung: Der Parteitagesfilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl, Opladen 1987.
3 Kießling, Friedrich; Schöllgen, Gregor (Hrsg.), Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse, Köln u.a. 2006.

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