Cover
Titel
Weimar Germany. Promise and Tragedy


Autor(en)
Weitz, Eric
Erschienen
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
€ 17,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Ziemann, University of Sheffield, Department of History

Eine neue Gesamtdarstellung der Weimarer Republik ist seit langem überfällig. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Erscheinen der inzwischen selbst klassischen Deutung von Detlev Peukert als “Krisenjahre der klassischen Moderne” hat die internationale Forschung eine Fülle neuer Fragen aufgeworfen und Einsichten erbracht, die einer zusammenhängenden Analyse harren.1 Eric Weitz knüpft an den durch Peukert markierten Problemhorizont an, geht aber, um das Fazit vorwegzunehmen, nirgendwo darüber hinaus, sondern fällt in der Prägnanz der Formulierung der historischen Problemkonstellation eher noch hinter ihn zurück.

Die Darstellung ist in neun thematische Kapitel gegliedert, von denen zwei chronologisch Beginn und Ende beschreiben. Im ersten Kapitel werden Erwartungshorizonte und politische Sprache der Rätebewegung in vielen, geschickt ausgewählten Zitaten anschaulich gemacht, und zu Recht betont Weitz die libertären Errungenschaften der Reichsverfassung. Das zweite Kapitel, “Walking the City”, beginnt mit einer apodiktischen Setzung: “Weimar was Berlin, Berlin Weimar”. (S. 41) Weitz schlüpft hier in die Rolle seines wichtigsten Zeugen, Franz Hessel, und erkundet die urbane Topographie und Vielgestaltigkeit des Berlins der 1920er-Jahre im Geiste eines Flaneurs, mit vielen gelungenen Beobachtungen zu Architektur und Urbanität. So gelungen das Kapitel, so einseitig und fragwürdig ist die These. Wie viele Vertreter der angelsächsischen Kulturgeschichte überschätzt Weitz die Bedeutung der Metropole, trotz eines vorab eingeflochtenen ‘disclaimers’ (S. 4). Dabei gerät nicht nur die ebenfalls vorhandene und signifikante Urbanität von Städten wie München, Köln, Hamburg in den 1920er-Jahren aus dem Blick. Auch in den anderen Kapiteln über Kultur, Politik, Architektur und Ökonomie ist dies eine auf einen Punkt konzentrierte Weimarer Gesellschaft ohne Hinterland, ohne ländliche und kleinstädtische Provinz. Weniger als drei Seiten des Buches sind der Landwirtschaft und ländlichen Bevölkerung gewidmet (S. 159-161). Doch erst aus den Spannungen zwischen ländlicher Provinz und metropolitaner Urbanität ergab sich eine der wichtigsten sozialen und politischen Konfliktlinien Weimars. Um das zu verstehen, muss man aber auch das von gewalttätigen sozialen Konflikten erschütterte Pommern, das gegen die rote Gefahr aus der Stadt mobilisierende ländliche Oberbayern oder das vom Protest des Landvolkes aufgewühlte Schleswig-Holstein erkunden.2

Im dritten Kapitel wird die Politik abgehandelt, knapp, und weitgehend – aber nicht immer – präzise. So spekuliert Weitz über die antirepublikanische Agitation als Ursache für den frühen Tod vieler Politiker (S. 127). Er zeichnet Hans von Seeckt als ein Monokel tragendes, aristokratisches Überbleibsel aus wilhelminischer Zeit, anstatt die Politik der Reichswehrführung als einen der “conflicts of Weimar modernity” zu rekonstruieren, um eine häufig wiederkehrende Formulierung zu zitieren (S. 116f., S. 261). Dann aber müsste die Spannung zwischen dem Ziel der Herrschaftsbildung und der Verarbeitung der Erfahrungen der industrialisierten Kriegführung analysiert werden, anstatt bei der ‘feudalen’ Kostümierung stehen zu bleiben.3 Konventionell bleibt die Darstellung von Weitz auch darin, dass sie Massenkultur und Politik getrennt behandelt, anstatt die Ästhetisierung der Politik als Thema zentral zu stellen. Trotz einiger Bemerkungen über die symbolische Politik der flaggenschwingenden, militarisierten Massenaufmärsche bleibt eine implizite Unterscheidung zwischen Inhaltsseite und Ausdrucksseite der Politik leitend (S. 111-115).

Im Kapitel über die Ökonomie skizziert Weitz mit sicherer Hand die psychologischen Folgen der Hyperinflation, hebt die Bedeutung der Angestellten als Modernisierungsagenten hervor und beleuchtet knapp die Krise des Wohlfahrtsstaates. Doch im Resümee wird eine personalisierte Schuldzuweisung vollzogen, die Schwere der ökonomischen Krise und ihre katastrophalen Folgen werden der Rechten und den in ihr maßgeblichen schwerindustriellen und finanzkapitalistischen Interessen zugeschrieben, die mit Inflation, Stabilisierung und Deflation die ökonomischen Lasten auf die Masse der Bevölkerung abgeschoben hätten (S. 168). Das ist ein höchst problematisches Urteil, das die Einbindung der Gewerkschaften in den Inflationskonsens der Jahre 1918-1921 ebenso ignoriert wie die Ergebnisse der Borchardt-Kontroverse um die Grenzen der Verteilungsspielräume in der Ökonomie der 1920er-Jahre, in deren Gefolge eine solche einseitige Schuldzuweisung obsolet geworden ist.

Beinahe die Hälfte des Textes ist der Kultur gewidmet, in Kapiteln die nacheinander die Architektur, Photographie, Film und Radio, sehr stark personalisierend die “highbrow culture” einiger weniger Schriftsteller, Intellektueller und Künstler sowie die Kultur der Körper und Sexualität abhandeln (S. 168-330). Hier ist Weitz in seinem eigentlichen Element, schildert mit großer Kennerschaft etwa die Reform des Wohnungsbaus durch Bruno Taut, die architektonischen Experimente von Erich Mendelsohn und das Bauhaus, die Innovationen in der Photographie durch August Sander und Lázló Moholy-Nagy, erläutert die Filme von Walter Ruttmann sowie Fritz Lang und schildert – extrem ausführlich in einer Geschichte der Weimarer Republik, in der die Katholiken und damit rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung gerade einmal in einem knappen Absatz zur Zentrumspartei erwähnt werden (S. 89) – auf zwei Seiten den Plot von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin. Auch hier lassen sich kritische Anfragen stellen. So überschätzt Weitz die Signifikanz des Mediums Film und seinen Beitrag zu einer modernen Massenkultur. Seine Zahlen und Beobachtungen beziehen sich wiederum vorwiegend auf Berlin (S. 236). Weitz ignoriert Forschungen, die auf die in Vorführpraxis, regionaler Verteilung der Kinos und sozialer Zusammensetzung des Publikums liegenden Grenzen der unterstellten Massenwirkung des neuen Mediums hingewiesen haben.4

Am Ende bleibt die Frage nach den Interpretationsperspektiven. War die Weimarer Republik nur ein anderes, eindringliches Beispiel für eine griechische Tragödie (S. 361), oder litt sie an einem Übermaß an soziokultureller Fragmentierung (S. 367)? Für eine solche konventionelle Form des Emplotment hätte es allerdings keiner neuer Gesamtdarstellung bedurft.5 Wie steht es um die Weimarer Moderne, deren kulturelle Ausdrucksseite Weitz ausführlich und mit großer Kennerschaft behandelt? Die Hinweise sind über das ganze Buch verstreut und fügen sich, anders als bei Peukert, zu keiner kohärenten oder gar weiterführenden Analyse. Meint Moderne nur die Fragmentierung und Differenzierung des soziokulturellen Lebens (S. 232), dann ist dies, wie Georg Simmel und Max Weber schon vor 1914 beobachtet haben, kein spezifisches Problem der Weimarer Moderne. Sind die Konflikte in der Spannung zwischen “progress and tradition, order and desire” und in den nivellierenden Tendenzen der Massengesellschaft zu suchen (S. 261), so wird die Widersprüchlichkeit der Weimarer Zeit letztlich auf das Niveau einer einfachen ‘Modernisierungskrise’ zurückgestuft, in der Tradition und Fortschritt wie im Vormärz miteinander ringen. Peukert hatte die Krisenhaftigkeit der Zwischenkriegszeit auf die in der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft selbst begründeten Spannungen zurückgeführt und damit auf die Folgeprobleme des Glaubens an die Gestaltbarkeit von Volkskörper bzw. ‘body politic’ und der dafür eingesetzten modernen Technologien. Sein wichtigstes Beispiel dafür war die breite Diskussion der Eugenik, die ja nicht nur ein reaktionäres Projekt, sondern auch eine sozialdemokratische und in Ansätzen auch katholische Fortschrittshoffnung war.6 Eric Weitz hat gerade einen Halbsatz für das Thema Eugenik übrig (S. 329). Als Fazit bleibt, dass sein anschaulich geschriebenes Buch in den Kapiteln zur Elitenkultur überzeugt. In der Formulierung der historischen Problemkonstellation Weimars und der seine Gesellschaft charakterisierenden Gegensätze fällt es allerdings, wie bereits betont, hinter den von Detlev Peukert formulierten Erkenntnisstand zurück.

Anmerkungen:
1 Peukert, Detlev, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987.
2 Kölling, Bernd, Familienwirtschaft und Klassenbildung. Landarbeiter im Arbeitskonflikt: Das ostelbische Pommern und die norditalienische Lomellina 1901-1921, Vierow 1996; Ziemann, Benjamin, War Experiences in Rural Germany, 1914-1923, Oxford 2007; Heberle, Rudolf, Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918 bis 1932, Stuttgart 1963.
3 Geyer, Michael, Aufrüstung oder Sicherheit. Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik 1924 bis 1936, Wiesbaden 1980.
4 Vgl. Führer, Karl-Christian, Auf dem Weg zur “Massenkultur”? Kino und Rundfunk in der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift 262 (1996), S. 739-781.
5 Zur Diskussion um das Emplotment von Weimar vgl. Föllmer, Moritz; Graf, Rüdiger (Hrsg.), Die „Krise“ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt am Main 2005.
6 Schwartz, Michael, Sozialistische Eugenik. Eugenische Sozialtechnologien in Debatten und Politik der deutschen Sozialdemokratie 1890-1933, Bonn 1995.

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