Rainer F. Schmidt: Der Zweite Weltkrieg

Cover
Titel
Der Zweite Weltkrieg. Die Zerstörung Europas


Autor(en)
Schmidt, Rainer F.
Reihe
Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Bd. 10
Erschienen
Berlin 2008: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Bergische Universität Wuppertal

Der Titel der Reihe, in der auch das zu besprechende Werk zu finden ist, lässt es schon erwarten – ein weiterer Überblick über die Geschichte des Zwanzigsten als des „Deutschen Jahrhunderts“ steht zur Debatte. Auf den ersten Blick fällt auf, dass sowohl in der Verlagsankündigung als auch im vorliegenden Werk immer wieder von „den Deutschen“ gesprochen wird, ohne dass genauer definiert wird, wer damit gemeint ist. Die Frage, ob eine wünschenswert schärfere Definition in früheren der 16 Bände zu finden ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Bemerkenswert ist der Hinweis des Verlags, dass bei der Herausgabe der Reihe „junge“ Historiker der Jahrgänge 1951 bis 1977 federführend gewesen seien. Der allgemeinen Bemerkungen sei damit Genüge jedoch getan.

Der zehnte Band, der vom Würzburger Historiker Rainer F. Schmidt vorgelegt worden ist, gliedert sich in vier große Themenabschnitte, die sich über die Grundlagen des Krieges, die ersten deutschen Erfolge bis zum Juni 1941 und über den deutschen Ostfeldzug erstrecken. Im dritten Teil finden sich zudem Beschreibungen zur Entwicklung der Anti-Hitler-Koalition sowie zum Krieg in Italien und im Westen ab 1943. Der vierte und letzte Teilbereich ist ganz dem Kriegsende und den Folgen des Vernichtungskrieges gewidmet. Schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis lässt schnelle Perspektivwechsel und weite Themensprünge erwarten. Ausführungen zum Holocaust bleiben Alexander Brakel überlassen, der diesen im neunten Band der Reihe genauer beschreibt.

Mit der Absicht, den Zweiten Weltkrieg auf etwas mehr als 200 Seiten darzustellen und dabei die aktuelle Forschung aufzuarbeiten, wagt sich Schmidt an ein überaus ambitioniertes Projekt. Es kommt einem Sturzflug durch die Geschichte gleich, der mit einer routinierten, aber nicht ganz sanften Landung beendet wird. Als Leitorientierung dient der Gedanke, dass es sich um einen gewollten Waffengang handelte, der zum Wendepunkt in der europäischen Geschichte wurde und dessen Wirkung bis heute spürbar ist.

Im dritten Kapitel beginnt die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Krieg. Beschrieben wird die Zeit von 1939 bis zum Sommer 1940, in der die Wehrmacht Europa unter das nationalsozialistische Banner zwang. Tragende Säulen für die deutschen Erfolge waren eine immer effizienter organisierte Kriegsgesellschaft wie Kriegswirtschaft sowie ein auf einen Eroberungskrieg eingestelltes Finanzsystem. Letzteres sollte kaum lange Bestand haben.

Im vierten Kapitel schließt sich eine Reflexion der deutschen Kriegsführung gegen England an, die wie eine Etappe hin zum 1941 folgenden Angriff auf die Sowjetunion wirkt. Die Ereignisse des damit verbundenen Vernichtungskrieges machen den Kern des fünften Kapitels aus. Davon ausgehend werden die Kriegskonferenzen der Alliierten zur Sprache gebracht, in denen die Voraussetzungen für die Besetzung und politische Neuordnung Europas diskutiert und erste Nachkriegsentscheidungen gefällt wurden. Freilich ist dies nicht das einzige Themengebiet, das in diesem sechsten Kapitel abgehandelt wird. Vielmehr werden in ihm die drei Jahre von 1942-1945 zusammengefasst, was zwangsläufig zu einigen inhaltlichen Verlusten führen muss. Doch anders wäre der Sprung von der Ostfront 1942 zu den Kämpfen in Italien 1943 bis hin zur Landung in der Normandie 1944 wohl gar nicht möglich. Zumal auch die Ardennen-Offensive und die Kapitulation von 1945 noch mit berücksichtigt werden. Das Kapitel wird mit einem Ausblick auf die ersten politischen Gehversuche der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland abgerundet. Besonders aufschlussreich sind Schmidts Ausführungen zu Hitlers Motiven vom Dezember 1941, den USA den Krieg zu erklären. Denn er geht von der These aus, dass mit diesem im Grunde nicht zu erklärenden Schritt Deutschland den Krieg keinesfalls mehr gewinnen konnte.

Im siebten und letzten Kapitel werden die Folgen des Krieges für Deutschland und Europa hervorgehoben. Mit aller Deutlichkeit wird klargestellt, dass der vom Deutschen Reich aus geführte „Totale Krieg“ die europäische Zivilgesellschaft völlig veränderte bzw. zerstörte. Die bekannten Ordnungssysteme, die über Jahre und Jahrzehnte funktioniert hatten, gingen verloren. Schmidt ist Recht zu geben, wenn er davon ausgeht, dass 1945 das weltweit von Europa aus geprägte Zeitalter an sein Ende kam. Doch ließe sich darüber streiten, ob sich das im Schatten der sich anbahnenden Ost-West-Konfrontation neu aufbauende Europa auf Frankreich, England und das am Boden liegende Deutschland reduziert werden kann. Doch lässt Schmidt keinen Zweifel daran, dass sich „die Deutschen“ fortan der Verantwortung für den Krieg und der dort begangenen Untaten nicht mehr entziehen konnten. Diesem eher moralischen Hinweis schließt er eine ausgesprochen politische Aussage an: „Mehr als andere Länder ist die Bundesrepublik dazu aufgerufen, für die Wahrung von Freiheit und Unabhängigkeit anderer Staaten einzutreten, denjenigen Ländern nicht Machtinstrumente bereitzustellen, die der Unterdrückung anderer Völker und Nationen dienen und – vor allem für das Existenzrecht Israels einzutreten.“ (S. 187)

Den Abschluss des Werkes bildet eine wohl sortierte Auswahlbibliographie, die nochmals Schmidts Anspruch unterstreicht, einen Überblick über die aktuelle Forschungslage und -debatte zu geben. Vor allem auf das vor kurzem beendete und vom Militärhistorischen Forschungsamt herausgegebene Reihenwerk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ hat Schmidt sich gestützt. Durchaus bemerkenswert ist, dass es dem Autor gelingt, auch unterschiedliche Primärquellen mit in den Text einzubauen.

Was ist nun von Schmidts Sturzflug, bei dem der eine oder andere inhaltliche Druckabfall kaum zu vermeiden ist, insgesamt zu halten? Bis zur Veröffentlichung des Werkes schien es doch eher unwahrscheinlich zu sein, dass es je gelingen könnte, den Zweiten Weltkrieg (in Europa) in derart knapper Form und doch anschaulich zusammenzufassen. Die meisten Turbulenzen, die Schmidt auszugleichen hat, sind offenkundig den formalen Rahmenbedingungen eines Reihenwerkes geschuldet. Insgesamt ist es ein gelungener Überblicksband, der kompetent in die Entwicklungen und Zusammenhänge des Zweiten Weltkrieges einführt. Inhaltliche Schwerpunkte muss der Leser selbst setzen – in der Bibliographie finden sich genügend Ansatzpunkte, die ein solches Unterfangen möglich machen. Besonders geeignet scheint der Band für Studierende im Grundstudium wie auch für Referendare zu sein. Letztere werden wohl gerne zu diesem Werk greifen, um die großen Lücken der Militärgeschichte in den gängigen Schulbüchern ausfüllen zu können.

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