P. Kurmann u.a. (Hrsg.): Historische Landschaft Oberrhein

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Titel
Historische Landschaft - Kunstlandschaft?. Der Oberrhein im späten Mittelalter


Herausgeber
Kurmann, Peter; Zotz, Thomas
Reihe
Vorträge und Forschungen 68
Erschienen
Ostfildern 2008: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heidrun Ochs, Historisches Seminar III, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der Begriff der Landschaft ist einer jener Begriffe, die allgegenwärtig sind und mit denen jeder mehr oder weniger Konkretes assoziiert. In den historischen Wissenschaften hat er an Bedeutung verloren und wird heute, obgleich die Diskussion um die Kategorie des Raumes zurzeit sehr rege geführt wird, kaum mehr als wissenschaftlicher Begriff verwendet. Meist scheint mit seiner Hilfe lediglich die Prägung eines − nur vage − umgrenzten Gebietes durch ausgewählte Aspekte kenntlich gemacht zu werden. Inwiefern er als wissenschaftliche Kategorie überhaupt dienen kann, welche Bedeutung der Begriff in Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte hatte und hat, welche Konzepte ihm zugrunde liegen und welche Aussagekraft sie haben, waren zentrale Fragen, die im Mittelpunkt einer Tagung standen, die der Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte im Frühjahr 2004 auf der Reichenau durchführte. Der vorliegende Band dokumentiert die Vorträge der Tagung und beinhaltet neben der Einleitung und der Zusammenfassung insgesamt elf Beiträge von Kunsthistorikern und Historikern.

Die Zusammenarbeit von Kunstgeschichte und Geschichte, das betonen die beiden Herausgeber Peter Kurmann und Thomas Zotz in ihrer Einleitung (S. 9-18), sei für beide Disziplinen nahezu unverzichtbar, zumal der Begriff der Landschaft in Form der Historischen Landschaft und der Kunstlandschaft in beiden Disziplinen Anwendung finde. Prüfstein für die Tragfähigkeit dieser Begriffe ist der Oberrhein, der – gut untersucht – in der aktuellen Forschung immer wieder als Einheit gesehen wird, für den aber die mittelalterlichen Quellen keine – begriffliche oder räumliche – exakte Entsprechung erkennen lassen. Deshalb soll Landschaft als Konstruktion verstanden werden, die durch die Bildung von Relationen entsteht. Im Fokus stehen somit die kommunikativen Beziehungen sowie deren Verdichtung, Zentren und Reichweiten, um so die Frage zu beantworten, ob der Oberrhein eine Historische Landschaft oder eine Kunstlandschaft gewesen ist. Das Fragezeichen im Titel verdeutlicht die Anlage der Tagung als „Experiment mit offenem Ausgang“ (S. 18).

In ihren grundlegenden Beiträgen behandeln Heinz Krieg und Brigitte Kurmann-Schwarz aus historischer bzw. kunsthistorischer Perspektive die begriffsgeschichtlichen Aspekte und zeigen aktuelle Ansätze auf. Krieg (S. 31-64) thematisiert Entwicklung, Chancen und Probleme der Begriffe „Landschaft“, „Historische Landschaft“ und „Oberrhein“ und schlägt abschließend vor, Historische Landschaft „als räumlich verdichtetes Kommunikationsgefüge einer bestimmten Phase der Vergangenheit“ (S. 61) zu definieren, ohne jedoch damit ein durch eine exakte Grenzziehung beschriebenes Gebiet zu verstehen. Kurmann-Schwarz (S. 65-90) zeigt nach einem Überblick über die Entwicklung des Begriffes der Kunstlandschaft und der Kunstgeografie, wie neuere Forschungen in Abkehr von der Frage nach landschaftlich bedingten Stilkonstanten das Konzept von Zentrum und Peripherie bzw. das Konzept der Kommunikationslandschaft fruchtbar machen, um die seit der Antike beobachtete Unterschiedlichkeit künstlerischen Schaffens in verschiedenen Räumen zu erklären.

Auf mögliche Bedingungen für die Ausprägung einer Landschaft macht Enrico Castelnuovo (S. 9-30) am Beispiel der Alpen aufmerksam, denn deren räumliche Abgrenzung ist im Gegensatz zu der des Oberrheins unstrittig. Die alpine Kunstproduktion zu Beginn des 15. Jahrhunderts zeichnet sich weniger durch einen gemeinsamen Stil als durch die gleichen Entstehungsbedingungen aus, die aufgrund der geografischen Besonderheiten durch die Aufnahme und Verarbeitung vielfältiger Einflüsse bestimmt sind.

Für den Oberrhein wird der Frage nach den Spezifika einzelner Merkmale für kirchliche Strukturen, Skulpturen und Zünfte nachgegangen. Sönke Lorenz (S.113-248) arbeitet in einem diachronen Überblick über die „Ausstattung“ des Oberrheins mit kirchlichen Einrichtungen heraus, dass sie in dieser für den Oberrhein charakteristischen „Qualität und Quantität“ (S. 247) das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung ist. Bruno Boerner (S. 361-399) setzt bei der Beobachtung an, dass es im Gebiet des Oberrheins eine Reihe von Skulpturen gibt, die erhebliche Übereinstimmungen hinsichtlich Thematik und Funktion aufweisen. Erklären lassen sie sich, so Boerner, durch kirchliche Interessen und regionale Produktionsbedingungen. Die mittelalterliche Skulpturenproduktion erscheint somit weniger räumlich gebunden als vielmehr abhängig vom sozialen und kulturellen Kontext. Knut Schulz (S. 307-343) untersucht zeitgenössische Vorstellungen und Wahrnehmungen des Raumes anhand früher Städte- und Landfriedensbündnisse, den Währungsgebieten und vor allem den Zunft-, Gewerbe- und Gesellenvereinigungen. Ein Kennzeichen des Oberrheingebietes bildete, so Schulz, die Zuwanderung und somit eine ständige personelle Erneuerung, womit die Grenzen aus der Perspektive der Zunftgeschichte durchlässig erscheinen.

Wie problematisch eine exakte Grenzziehung der Landschaft Oberrhein sein kann, verdeutlichen die folgenden Beiträge, die die räumliche Anordnung eines Aspektes analysieren und danach fragen, inwieweit damit eine Raumeinheit bzw. die Landschaft Oberrhein konstruiert werden kann. Marc Carel Schurr (S. 249-274) untersucht die gotische Architektur am Oberrhein, um die Frage zu beantworten, ob es zumindest hinsichtlich einer bestimmten Kunstgattung und einer bestimmten Epoche eine Kunstlandschaft Oberrhein gegeben habe. Mittels des Stilvergleichs arbeitet er heraus, dass ein relativ geschlossenes Bild einer Kunstlandschaft nur temporär mit Straßburg als Zentrum bestand, dessen Ausstrahlungskraft allerdings weit über die Grenzen des Oberrheins hinausreichte. Philippe Lorentz (S. 401-418) untersucht den Einflussbereich der Straßburger Malerbetriebe, der ebenfalls eine Kunstlandschaft mit dem Zentrum Straßburg erkennen lässt. Sigrid Schmitt (S. 275-306) fragt anhand der zwischenstädtischen Kommunikation in der Zeit der Armagnakenkriege „nach einem Städtenetz innerhalb der Städtelandschaft Elsaß […], die wiederum in die Region Oberrhein eingebettet ist“ (S. 278). Institutionelle zwischenstädtische Kontakte sowie die Kontakte auf der sozialen Ebene von Einzelpersonen und Gruppen der Städte bilden ein komplexes Kommunikationssystem der Stadt Straßburg, das als Städtenetz mit Straßburg im Zentrum beschrieben wird.

Doch nicht alle Gegenstandsbereiche lassen Verdichtungen oder Begrenzungen erkennen. Tom Scott (S. 91-112) untersucht anhand des Verkehrswegenetzes, der Handelsbeziehungen oberdeutscher Kaufleute, der Ausstrahlung der Messen und der demografischen Entwicklung den Oberrhein als Wirtschaftslandschaft. Für keine der vier Untersuchungssonden lassen sich Verdichtungen oder Grenzen in dem Gebiet feststellen, das in der Regel als Oberrhein bezeichnet wird, weshalb er die Existenz einer Wirtschaftslandschaft Oberrhein kritisch beurteilt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Georges Bischoffs (S. 345-360), der die Freiherren zu Mörsberg und Belfort untersucht. Die politische Tätigkeit der Familienmitglieder, ihre Heiraten und Besitzungen lassen sich weder im gesamten noch allein im Oberrheingebiet räumlich fixieren.

Die Beiträge, die alle den zentralen Fragen des Bandes nachgehen und somit eine hohe thematische Geschlossenheit herstellen, belegen am Beispiel des Oberrheins eindrücklich die mit dem Begriff der Landschaft verbundenen Schwierigkeiten, die Hans-Joachim Schmidt in seiner pointierten Zusammenfassung (S. 419-440) thematisiert: Den Tagungsbeiträgen liegt überwiegend eine Konzeption des Landschaftsbegriffes zugrunde, die Landschaft nicht als „Aggregat gleicher Merkmale“ (S. 426) definiert, sondern den relationalen Charakter betont, Landschaft also als verdichtetes Kommunikationsgefüge auffasst. Allerdings verflüchtigt sich damit die räumliche Fixierung der Landschaft, denn eine solche Analyse erschwert die Bestimmung geografischer Grenzen. Zudem wird deutlich, inwieweit eine geographische Festlegung vom jeweiligen − teilweise eng zu fassenden − Gegenstandsbereich und zeitlichen Rahmen abhängig ist, womit der wissenschaftliche Ertrag des Konzeptes fraglich ist, „weil auf der Basis kurzfristiger Homogenität keine historischen Landschaften zu konstruieren sind“ (S. 425). Wenn Schmidt trotz aller Skepsis doch für eine Verwendung des Landschaftsbegriffes plädiert, geschieht dies aus zwei Gründen: Zum einen gibt es zwischen verschiedenen Gebieten festzustellende Unterschiede; zum anderen ist es durchaus nützlich, Markierungen im Raumkontinuum kenntlich zu machen. Wie der Begriff der Landschaft allerdings definiert und welches Raumverständnis zugrunde gelegt werden kann, werden weitere Forschungen zeigen müssen.

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