Titel
Herr und Hanswurst. Das tragische Schicksal des Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling


Autor(en)
Sabrow, Martin
Erschienen
Stuttgart - München 2001: Deutsche Verlags-Anstalt
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ewald Frie, Fachbereich 1 Fachgruppe Geschichte, Universität/GH Essen

„Läßt sich überhaupt das eigentümliche Schicksal eines Mannes als ein konsistentes Lebensprofil begreifen und darstellen, das uns an ein und demselben Fürstenhof in ein und derselben Zeit und ein und derselben Person als Herr und Hanswurst, als Hofgelehrter und als Hofnarr entgegentritt?“ (193) So fragt Martin Sabrow, nachdem er durch sorgfältiges Quellenstudien herausgearbeitet hat, daß Jacob Paul von Gundling keineswegs nur als versoffene Gelehrtenkarikatur ein leichtes Opfer vulgären Spotts im Tabakskollegium des pietistischen Grobians und Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. gewesen ist. Vielmehr trieb er parallel zu seiner hofgesellschaftlichen Herabwürdigung historische und ökonomische Studien, die vom König unterstützt und interessiert aufgenommen wurden. Er war als Berater des Monarchen einflußreich und verstand es, seine geliehene Macht strategisch einzusetzen. „Herr und Hanswurst“ gleichzeitig?

Martin Sabrow erklärt die Rollendopplung aus sozialen und kulturellen Begründungszusammenhängen. Zum einen sei der bürgerliche Parvenü Gundling von Beginn der Herrschaft des Soldatenkönigs an als merkantilistischer Gegner überkommener Adelsprivilegien aufgetreten. Das habe ihm die adelig-militärische Tabakskollegiumsgesellschaft heimgezahlt. Der König habe ihn zweitens nicht geschützt, weil sich sein Ratgeber in einer groben Charakterprobe als wetterwendisch, ja haltlos gezeigt hatte. Er galt ihm danach nur noch als nützlicher Idiot. Weisen diese beiden Begründungen auf die harschen Modernisierungsanstrengungen Friedrich Wilhelms I. und die daraus folgenden Verwerfungen hin, so knüpft die dritte an die Tradition des Hofnarren in der Frühen Neuzeit an, der klugen und herrschaftskritischen Rat im Medium der Narretei transportieren mußte, um die hochgradig störanfällige höfische Gesellschaft nicht zu überfordern.

Nur dort, wo sich diktatorische Modernisierung und verformte Höflichkeit ineinander schoben, war die in Jacob Paul von Gundling personifizierte Rollendopplung möglich. Schon wenige Jahrzehnte später wurde sie undenkbar. Deshalb hat sich die Geschichtsschreibung seit dem späten 18. Jahrhunderts für eine Seite entschieden und das Paradox zugunsten einer Dekadenzgeschichte aufgelöst: vom mittelmäßigen Gelehrten zur volltrunkenen Spottgestalt. Sabrow gewinnt die ganze Geschichte und damit ein wesentliches Element preußischer Lebensweise im beginnenden 18. Jahrhundert zurück. Er tut dies sensibel und in einer Sprache, die jede Seite zum Vergnügen werden läßt.

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