Titel
Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert


Herausgeber
Berghoff, Hartmut
Erschienen
Göttingen 1999: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 15,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Priv.-Doz. Dr. André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung

Konsum ist en vogue. Seit fünfzehn bis zwanzig Jahren gewinnt das Thema im angelsächsischen Sprachraum immer mehr an Bedeutung, im deutschsprachigen Bereich folgte man dem mit einiger Verzögerung, um sich diesem Untersuchungsobjekt inzwischen mit um so größerer Vehemenz zuzuwenden. Dabei ist dieser Forschungsgegenstand durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet, die aus der engen Verflechtung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Aspekte des Konsums selbst als auch der ihn bestimmenden Faktoren resultiert. Daraus ergibt sich eine Vielfalt möglicher Herangehensweisen an dieses Untersuchungsfeld und eine nicht zu übersehende Heterogenität der Ergebnisse, was wiederum erklärt, weshalb sich der Forschungsstand bisher vor allem in Sammelbänden niederschlagen hat.1 In diese Reihe ordnet sich auch der vorliegende Band ein, der aus einer Sektion auf dem Frankfurter Historikertag 1998 hervorging. Der Herausgeber will - zumindest macht er dies implizit deutlich (S. 12f.) - der nach der "kulturalistischen Wende" in der Geschichtswissenschaft zu beobachtenden Verengung auf derartige Analyseaspekte entgegentreten und den wirtschafts-, sozial- und politikgeschichtlichen Kontext des Konsums ins Blickfeld rücken. Dabei soll sich der Band auf die Querschnittsproblematik staatlicher Regulierung des Konsums konzentrieren, wobei die fünf Aufsätze die Aufmerksamkeit auf verschiedene Teilbereiche des Konsums bzw. seiner Vermittlungsmomente in den unterschiedlichen Zeitabschnitten deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts lenken.

Zuvor faßt Berghoff in einer lesenswerten Einleitung sowohl die zeithistorischen als auch forschungsgeschichtlichen Gründe zusammen, die die zunehmende Attraktivität des Konsums für die Geschichtswissenschaft begründen, und umreißt allgemein den Handlungsraum staatlicher Aktivitäten in Bezug auf den Verbrauch - also die aktive Konsumpolitik.
Christoph Nonn widmet sich in seinem Aufsatz dem Zusammenhang zwischen Lebensmittelkonsum und der Agrarpolitik vom Ende des Kaiserreichs bis in die frühe Bundesrepublik. Anhand der in der Literatur bereits vielfach dargestellten Auseinandersetzungen um die staatliche Behandlung der Landwirtschaft entwickelt Nonn die These, daß sich die Regulierung der Lebensmittelmärkte im Verlauf des betrachteten halben Jahrhunderts in ihrem Ziel - der Abschottung vom Weltmarkt - kaum verändert habe, aber die dahinter stehenden Motive und Ursachen sich gewandelt hätten. Standen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Produzenteninteressen im Mittelpunkt, so sei es heute die Sicherung der Versorgung der Konsumenten, betont Nonn pointiert in seiner Zusammenfassung (S. 41). Zu dem zweiten Teil dieser Aussage ist jedoch Widerspruch anzumelden, da Nonn hier sowohl die Zwischenkriegszeit als auch die kurze Phase Anfang der fünfziger Jahre verallgemeinert, in der die Weltmarktpreise für Agrarprodukte über den inländischen lagen und somit der Agrarprotektionismus im Interesse der Verbraucher lag. Es ist zweifellos zutreffend, daß dies ebenso wie die Hungererfahrungen der Weltkriege und der Nachkriegszeiten die Etablierung der Abschottung des Agrarmarktes erleichterte und die verschiedenen von Nonn angeführten Äußerungen im Hinblick auf den Konsumentenschutz bis weit in die fünfziger Jahre hinein beeinflußte. Aber als die Weltmarktpreise ab 1952 unter die inländischen Preise sanken, begünstigte die agrarprotektionistische Politik objektiv in erster Linie die Produzenten. Nun soll nicht bestritten werden, daß es in der Folgezeit auch immer wieder Kompromisse mit den Verbraucherinteressen gab, aber dem komplizierten Geflecht von wirtschaftlichen, verschiedenen wahlopportunistischen und schließlich im Laufe der Zeit auch europapolitischen Motiven und Ursachen für die agrarprotektionistische Politik wird die These von Nonn - noch dazu in ihrer Fortschreibung bis heute - nicht gerecht. Außerdem stellen sich hier Fragen nach der Art und Weise, wie sich die Verbraucherinteressen eigentlich artikulierten bzw. von deren Vertretern wahrgenommen, antizipiert oder bestimmt wurden. Beispielsweise ist schon für Ende der fünfziger Jahre belegt, daß nur eine Minderheit der Bevölkerung die Unterstützung der Landwirtschaft für erforderlich hielt.2

Winfried Speitkamp befaßt sich mit der staatlichen Regulierung des Konsums von Kinofilmen und Groschenromanen mittels inhaltlicher Zensur in der Weimarer Republik. Sowohl dem Film als auch dem Groschenroman sprach die Obrigkeit eine Gefährdung der im Kern bildungsbürgerlich geprägten Moralvorstellungen zu, weshalb sie zensiert werden sollten. Speitkamp hinterfragt die Begründung ebenso wie die Effizienz der Zensur. Dabei zeigt sich, daß die Gründe für die Zensur einer sachlichen Überprüfung kaum standhielten und ihre Wirksamkeit begrenzt war. Darüber hinaus wurden die kommerziellen Interessen der entsprechenden Hersteller und Vertreiber durch die inhaltlichen Eingriffe nicht oder kaum beeinträchtigt. Vielmehr suchten die Anbieter von Filmen die Kooperation mit den Zensurstellen und die der Groschenromane umgingen oder unterliefen die staatlichen Eingriffe. Ihre Wirksamkeit für das Verhalten der Konsumenten wird von Speitkamp ebenfalls in Frage gestellt und dagegen mit Verweis auf die Eigenständigkeit der Jugendkultur auf die dadurch geprägten Konsumwünsche und die materiellen Möglichkeiten zurückgeführt (S. 67), wobei er aber an anderen Stellen die hier ausgesparten möglicherweise verbrauchssteigernden Effekte der Schunddebatten anführt. Jedoch ist dieser Zusammenhang wohl quellenseitig schwer zu verifizieren.

Der folgende Aufsatz von Hartmut Berghoff wendet sich der Werbung während der Zeit des Nationalsozialismus zu. Er arbeitet heraus, daß deren früh einsetzende staatliche Regulierung vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und verbreiteter Unprofessionalität in der Branche durch die Werbewirtschaft selbst begrüßt wurde. Das NS-Regime verfolgte nach Berghoff damit allerdings andere Ziele. Monopolisierung und - kaum vollständig umzusetzende - inhaltliche Kontrolle entsprach seinem medien- und machtpolitischen Kalkül. Mit kulturpolitischen, aber letztlich diffus und inhaltsleer bleibenden Vorgaben sollte eine "arteigene" Werbung geschaffen werden, womit aber kein typischer NS-Werbestil kreiert werden konnte. Bei den ordnungs- und standespolitischen Zielen trafen sich die Intentionen des Regimes und der Werbewirtschaft partiell. Mit einer straffen Marktordnung sollten branchenweite verbindliche Standards geschaffen werden, um geschäftsschädigende Mißstände zu beseitigen und die Professionalisierung der Branche zu fördern. Die bei Berghoff in dieser Motivgruppe thematisierte, weiter bestehende tendenzielle Werbefeindschaft seitens des NS-Regimes ist wohl aber eher dem letzten von ihm hervorgehobenen Ziel zuzuordnen. Danach war die Werbung für den NS-Staat vor allem ein Mittel, um die Nachfrage zu lenken. Da das Regime bekanntlich vor allem und in zunehmenden Masse die Rüstung und die ihr zuliefernden Bereiche förderte, sollten immer weniger volkswirtschaftliche Ressourcen dem privaten Verbrauch zur Verfügung stehen, was die Notwendigkeit von Werbung einschränkte bzw. deren Zielrichtung veränderte oder in Form von "Sparsamkeits- oder Erinnerungswerbung" sogar pervertierte. Damit mußte aber auch zwangsläufig die Entwicklung der Werbeumsätze hinter der volkswirtschaftlicher Größen zurückbleiben. Nun wurden die Vorgaben des Regimes zwar seitens der Wirtschaft umgangen, aber grundsätzlich reduzierte sich der Spielraum und Umfang der Werbung während des Krieges immer stärker. Darüber hinaus verfiel die - wohl ohnehin nie besonders ausgeprägte - Glaubwürdigkeit der verbrauchslenkenden Werbung bei den Konsumenten. Abschließend greift Berghoff die Debatte über die Modernisierungseffekte des NS-Regime im Hinblick auf die Werbung auf, wobei er bei einer Gegenüberstellung modernisierender und retardierender Faktoren der NS-Werbepolitik zu dem Ergebnis kommt, "daß insgesamt Stagnation und Rückschritt überwogen" (S. 108).

Harm G. Schröter beleuchtet ein Phänomen, das in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung der Geschichte der Bundesrepublik weitgehend verschüttet ist. Vielfach herrscht die Vorstellung, daß mit der Etablierung der Grundprinzipien der "sozialen Marktwirtschaft" 1948 auch eine allgemeine Deregulierung einhergegangen sei. Diese war zwar prinzipiell vorgesehen, aber die nachkriegsbedingte Sondersituation und das damit verbundene knappe Angebot in verschiedenen Konsumbereichen stand dem vor allem im Hinblick auf den privaten Verbrauch entgegen. Im Verlauf der fünfziger Jahre setzte sich dann tendenziell - in den einzelnen Verbrauchsbereichen in unterschiedlichem Masse - die Deregulierung durch. Schröter geht auf die in diesem Zusammenhang geführten öffentlichen Debatten zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, Verbänden und Wirtschaftswissenschaftlern ein und stellt den Prozeß der Deregulierung für die wichtigsten Konsumbereiche - Ernährung und Wohnen - dar. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit in diesem Prozeß jeweils die Produzenten- oder die Konsumentensouveränität an Boden gewannen. Abschließend gelangt er zu dem Ergebnis, daß es vor dem Hintergrund des Wachstumsbooms der fünfziger Jahre nur wenige Verlierer gab, obwohl die Produzenten gegenüber den Verbrauchern wohl meist gestärkt wurden. Gleichwohl macht der Beitrag Schröters auch deutlich, daß das Phänomen der administrierten Preisbildung innerhalb der sozialen Marktwirtschaft sowie seine Ursachen, Ziele und Effekte der weiteren historischen Erforschung bedarf.

Der abschließende Beitrag von Philipp Heldmann wendet sich der DDR zu, indem anhand des Projektes Jugendmode deren Konsumpolitik behandelt werden soll. Mit diesem Projekt wurde ab dem letzten Drittel der sechziger Jahre der Versuch gemacht, unter den Bedingungen immer wieder auftretender Defizite im Konsumgüterangebot die Produktion und den Vertrieb jugendgemäßer Bekleidung besonders zu fördern. Auf diese Weise wollte man wohl - anders als von Heldmann vermutet (S. 149) - vor allem bei den Jugendlichen Akzeptanz erzeugen. Auf den Forschungsstand zurückgreifend wird zunächst das wirtschaftspolitische Umfeld für das Projekt Jugendmode im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform der sechziger Jahre dargestellt. Dabei hebt Heldmann zwar den eigenständigen Charakter der Reform im Handel im Vergleich zur Industrie hervor, aber dieser wird in seiner Darstellung nicht erkennbar, da die von ihm angeführten Momente ebenso der Reform in der Industrie, wo diese am weitgehendsten verwirklicht wurde, entsprechen bzw. zu ihr komplementär sind (S. 139). Auch die Hauptursache, die neben den grundsätzlichen Problemen der Wirtschaftsreform3 zum (relativen) Mißerfolg der Veränderungen im Handel führte, deutet Heldmann gerade an. Zwar wurden mit der Reform die Produzenten stärker als davor und danach wirtschaftlich daran interessiert und politisch dazu aufgefordert, auch den Absatz ihrer Produkte zu sichern, aber prinzipiell blieb das Gesamtkonzept für die Veränderungen stark produktionsorientiert. Nach Darstellung dieses Umfeldes geht Heldmann näher auf das Projekt Jugendmode ein, wobei er die Wahl der Produzenten besonders bei den halbstaatlichen und privaten Betrieben, die Bevorzugung bei der Verteilung beliebter Waren und von Investitionen als bemerkenswert unterstreicht. Darüber hinaus betont er, daß den Produzenten (!) dieser jugendgemäßen Bekleidung in Form eines Preiszuschlages ein besonderer Anreiz gewährt wurde (S. 146f.). Gleichzeitig geht er aber nicht der Frage nach, wie die Verbraucherpreise in diesem Fall gestaltet wurden. Sehr wahrscheinlich erklärt sich die geringe Zahl von Jugendlichen, die schließlich in den Jugendmode-Läden einkauften, nicht nur aus der geringen Zahl der entsprechenden Geschäfte (S. 147), sondern vielmehr daraus, daß die Preise zwar im Vergleich zu anderen modischen Textilien möglicherweise niedrig, aber in Relation zu den bei den Jugendlichen verfügbaren Einkommen hoch waren. Insgesamt hätte man sich aber für eine Darstellung der DDR-Konsumpolitik anhand der Jugendmode, die in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme darstellte (S. 149), aber gerade in dieser Sonderrolle ebenso was Typisches hatte, das systematische Herausarbeiten genau dieser Aspekte und eine stärkere Konzentration auf das Projekt selbst vorstellen können.

Alles in allem zieht sich durch die qualitativ unterschiedlichen (wie sollte es sonst sein) Beiträge die Frage nach dem Verhältnis von Produzenten, Konsumenten und Staat sowie ihren jeweiligen Spielräumen (Produzenten- vs. Konsumentensouveränität und deren Beeinflussung durch die Eingriffe des Staates). Eine durchgehende Fragestellung ist für einen derartigen Sammelband zweifelsohne ein Vorzug. Daher ist er auch denjenigen zu empfehlen, die sich zu diesem Problem für die behandelten Zeiträume einen ersten Überblick verschaffen wollen.

Anmerkungen:
1 Vgl. für den deutschsprachigen Raum: Hannes Siegrist/Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20.Jahrhundert), Frankfurt/M., New York 1997; Hannes Siegrist/Jakob Tanner/Béatrice Veyrassat (Hg.), Geschichte der Konsumgesellschaft. Märkte, Kultur und Identität (15.-20. Jahrhundert), Zürich 1997.
2 Vgl. Karl-Heinrich Hansmeyer, Staatliche Agrarförderung und öffentliche Meinung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 14, 1962, S. 691-705, hier 697, 702.
3 Vgl. André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999.

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