Von Platon bis Butler

Friederike Kuster führt in philosophische Geschlechtertheorien ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geschlechtertheorien standen bis in die jüngere Vergangenheit hinein zwar nie im Zentrum einer philosophischen Schrift, doch waren sie über die Jahrtausende hinweg fast immer subkutan anwesend und nicht selten flossen zumindest einige Überlegungen zum Wesen der Geschlechter und ihrem Verhältnis zueinander in die philosophischen Systeme ein.

 Friederike Kuster ist nun mit ihrer Einführung in Philosophische Geschlechtertheorien angetreten, einen „historischen und systematischen Überblick“ über die „Konzeptualisierungen des Geschlechterverhältnisses“ in einigen der wichtigsten und wirkmächtigsten philosophischen Schriften zu bieten und so die „historische Kontinuität“ des philosophischen Geschlechterdiskurses aufzuzeigen. Abschließend stellt sie „aktuelle philosophische Zugänge zur Thematik der Geschlechter und der Zweigeschlechtlichkeit“ vor, die nicht von ungefähr von Frauen stammen. Vor allem aber zeigt Kuster, dass sich die „philosophischen Positionen zum Geschlechterverhältnis“ nur dann erschließen lassen, wenn man ihre „Stellung im System des jeweiligen Autors“ ins Auge fasst. Denn sie „wurzeln in metaphysischen, ethischen, politischen und anthropologischen Prämissen“. Somit lassen sie sich „auf systematische Grundannahmen zurückbeziehen und aus ihnen herleiten und erklären“, wie Kuster überzeugend nachweist. Interessant wäre allerdings auch gewesen, der Frage nachzugehen, wie sich untergründige oder auch gar nicht so untergründige geschlechtertheoretische Prämissen oder auch Vorstellung über das Wesen von Männern und Frauen umgekehrt auf die philosophischen Systeme auswirken.

Der Autorin zufolge werden insbesondere drei Aspekte des Verhältnisses von Mann und Frau in den historischen Geschlechtertheorien behandelt und argumentativ verhandelt: Erstens werden sie als „Bestandteil der politischen Ordnung“ respektive der „christlichen Heilsordnung“ entwickelt, zweitens als „anthropologische Polarität“ verstanden und drittens als „gesellschaftlich-kulturelle Konstruktion“ erkannt.

Wie es – zumal in einer Einführung – nicht anders sein kann, war Kuster gezwungen aus der Vielzahl einschlägiger Philosophien einige „klassische Positionen“ auszuwählen, die sowohl „exemplarisch für ihre Zeit und im Kontext der zeitgenössischen Theorien“ als auch „in einen umfassenderen systematischen Zusammenhang eingebettet“ sind. Die Beschränkung ist ebenso nachvollziehbar wie bedauerlich. Vermissen mag man etwa die für seine Philosophie der Erlösung nicht eben ganz unwichtige Geschlechtertheorie im Werk des originellen Schopenhauer-Schülers Philipp Mainländer.

Kusters Einführung folgt der Chronologie der von ihr vorgestellten und beleuchteten Texte und ihren Geschlechtertheorien. Das entspricht ganz dem Vorhaben der Autorin, intertextuelle Bezugnahmen der PhilosophInnen und ihre Kritiken an vorgängigen Geschlechterphilosophien aufzuzeigen. Sie hat den Band hierzu in fünf Abschnitte gegliedert, deren Titel auf die Thematik der jeweiligen Auseinandersetzungen hinweisen. Der erste steht unter der Überschrift „Seelenverhältnisse und politische Ordnung“ und behandelt die von Platon in der Politeia entworfene Geschlechtertheorie und deren Kritik durch Aristoteles. Den beiden antiken Philosophen folgen unter der Überschrift „Schöpfungsordnung, Erbsünde und Enthaltsamkeit“ die eher theologischen als philosophischen Texte der beiden „offiziellen Kirchenlehrer der katholischen Kirche“, Augustinus und Thomas von Aquin. Unter dem Titel „Vertragliche Regelungen und anthropologische Differenzen: Die Genese des bürgerlichen Geschlechtsmodells“ beleuchtet die Autorin im Anschluss die Geschlechterkonzepte von Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jaques Rousseau und Immanuel Kant. Als viertes folgt „Das Geschlechterverhältnis im Spannungsverhältnis zwischen Natur und Geist“ mit Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Engels. Ihm schließt sich der Abschnitt  „Geschlecht und gesellschaftliche Utopie“ an, in dem man Engels vielleicht eher hätte erwarten können. In ihm finden sich mit Max Horkheimer und Herbert Marcuse zwei Vertreter der Kritischen Theorie. Beschlossen wird der Band mit den „Philosophien der Geschlechterdifferenz“. Ein Titel, der auch über jedem der vorangegangenen Abschnitte hätte stehen können. Behandelt und aufeinander bezogen werden drei Theoretikerinnen des 20. Jahrhunderts: Simone de Beauvoir, Luce Irigaray und Judith Butler.

Kuster referiert und verortet die jeweiligen Geschlechtertheorien nicht nur systematisch und historisch, ohne sie je zu banalisieren, sondern kritisiert sie auch – und das in aller Regel überzeugend.

Hier und da muss dennoch etwas Kritik an der Darstellung der Autorin geübt werden. Wie Kuster feststellt, können natürlich „nicht alle ‚Stellen′ oder Überlegungen eines Autors gleichermaßen Berücksichtigung finden“. Als Beispiel führt sie Immanuel Kant an, dessen „‚Bemerkungen zum Geschlechtscharakter in der Anthropologie in pragmatischer Absicht′ [sic! Richtig: Hinsicht; RL] gegenüber den ‚Betrachtungen [sic!] über das Gefühl des Schönen und Erhabenen′ und der ‚Metaphysik der Sitten′ zurückstehen, wo die in der ‚Anthropologie’ eher rhapsodisch thematisierten Dinge ausführlicher und begründeter abgehandelt werden“. Tatsächlich rekurriert Kuster nicht nur auf die, wie es richtig heißt und sie auch ansonsten richtig schreibt, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, sondern auch mehrmals auf die Bemerkungen, die Kant auf die leeren Seiten seines durchschossenen Handexemplars des Buches geschrieben hat. Die aber sind allemal so rhapsodisch wie seine Ausführungen in der Anthropologie. Auch handelt es sich nicht um Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, wie der Titel meint, den die Akademie-Ausgabe der Werke Kants den Notizen gab, sondern um Bemerkungen in den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, wie auch der Titel der von Marie Rischmüller 1991 herausgegebenen und kommentierten Ausgabe lautet. Das ist ein nicht ganz unwichtiger Unterschied. Kants Bemerkungen beziehen sich keineswegs auf den Text des Buches, in dem sie stehen. Wieso Kuster den nicht immer ganz zuverlässigen Text der Akademie-Ausgabe gegenüber der überzeugenderen Edition Rischmüllers bevorzugt, erläutert sie nicht. Inhaltlich wird von Kuster zudem nicht in der wünschenswerten Klarheit herausgearbeitet, dass und warum Frauen Kant zufolge nicht wie Männer aus Moral, sondern nur moralgemäß handeln können und welche Rolle ‚weibliche′ Emotionen, namentlich die Scham, als Substitut des ‚männlichen′ Vermögens aus Grundsätzen zu handeln, dabei spielen.

Ein weiteres Manko des Bandes liegt darin, dass versäumt wurde, die Sekundärliteratur zu der einen oder anderen klassischen Geschlechtertheorie etwas näher in den Blick zu nehmen. So hätte man etwa eine kritische Anmerkung zu Christoph Kucklicks Interpretation von Fichtes Eherecht begrüßt.

Dass „die materialistische Kritik von Marx und Engels an der Institution der „bürgerlichen Familie“ in einer Einführung zu philosophischen Geschlechtertheorien „kurz vorgestellt“ wird, mag verwundern, hatten beide doch herzlich wenig für die untere der vier Fakultäten übrig, wie nicht nur die elfte Feuerbachthese bezeugt, sondern auch die von Kuster herangezogene Deutsche Ideologie, in der Marx und Engels spotten, „Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe“. Kuster begründet ihre Behandlung der (vor allem) Engels′schen Familienkritik damit, dass sie „höchst einflussreich“ war und zu „heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des Feminismus“ führte. Diese werden zwar nicht näher vorgestellt, aber dennoch unausgewogen behandelt. Kuster nennt als Beispiel für die innerfeministische Kontroverse einzig einen Titel der Marxistin Clara Zetkin. Zudem verweist Kuster zur näheren Information über die Auseinandersetzung auf einen Eintrag im Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus der ebenfalls marxistischen Feministin Frigga Haug.

Ungeachtet solcher, eher einige Details betreffender Mängel ist Kusters Buch erhellend und als Einführung in philosophische Geschlechtertheorien empfehlenswert.

Titelbild

Friederike Kuster: Philosophische Geschlechtertheorien zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2019.
238 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783960603054

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