Rezension über:

Christoph Stamm: Wem gehören die Akten der SED. Die Auseinandersetzung um das Zentrale Parteiarchiv der SED nach 1990, Düsseldorf: Droste 2019, X + 190 S., ISBN 978-3-7700-1638-9, EUR 39,90
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Rezension von:
Andreas Malycha
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Malycha: Rezension von: Christoph Stamm: Wem gehören die Akten der SED. Die Auseinandersetzung um das Zentrale Parteiarchiv der SED nach 1990, Düsseldorf: Droste 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7/8 [15.07.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/07/34436.html


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Christoph Stamm: Wem gehören die Akten der SED

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Im ehemaligen Zentralen Parteiarchiv der SED befanden sich lange Zeit unter Verschluss gehaltene Unterlagen von herausragender Bedeutung - nicht nur für interne Parteiangelegenheiten, sondern für das staatliche Handeln der DDR insgesamt. Denn alle Entscheidungen zentraler staatlicher Institutionen sowie der Volkskammer wurden im zentralen Parteiapparat der SED in Ost-Berlin gefällt. Demnach war es in den Umbruchsjahren nach 1989 nahezu unmöglich, beide Bereiche voneinander zu unterscheiden bzw. zu trennen. 1990 entbrannte eine heftige Auseinandersetzung, ob die archivalische Hinterlassenschaft der SED wie staatliches Schriftgut oder wie das einer politischen Partei zu behandeln sei. Damit die Akten als wichtiges nationales Kulturgut sachgemäß betreut und der Forschung zugänglich gemacht werden konnten, kamen die Bestände des Zentralen Parteiarchivs im Januar 1993 unter die Obhut des Bundesarchivs. Christoph Stamm beschreibt diese langwierigen politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen, die letztlich auch zur Beantwortung bislang neuer archivrechtlicher Fragen beitrugen.

Nach einer Übersicht über die Entwicklung des Parteiarchivs bis 1989 skizziert Stamm den Beginn verschiedener Bemühungen der Modrow-Regierung, der DDR-Volkskammer sowie verschiedener Oppositionsgruppen seit dem Herbst 1989, die Archivbestände zu sichern und für die Forschung, aber auch für interessierte Medien sowie die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die damalige Leitung des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA), das aus dem Institut für Marxismus-Leninismus (IML) beim ZK der SED hervorgegangen war und über die Bestände des Zentralen Parteiarchivs verfügte, sowie die vom Parteivorstand beauftragten Vertreter der SED/PDS. Sie strebten in den Verhandlungen über die Sicherung des Schriftgutes anfänglich eine privatrechtliche Vereinslösung auf der Basis einer Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn an. Die SPD-nahe Stiftung signalisierte ein lebhaftes Interesse an dem Modell der Vereinslösung. Stamm analysiert die Auseinandersetzungen um dieses Konzept eines paritätisch besetzten Trägervereins mit profunder Sachkenntnis und weist nach, dass diese Regelung nicht nur an den wirtschaftlichen Realitäten, sondern insbesondere an den politischen Kräfteverhältnissen der Bundesrepublik scheiterte. Denn die Bundesregierung hatte bereits im Oktober 1990 deutlich gemacht, dass für sie aufgrund des besonderen Charakters des SED-Schriftgutes nur eine Lösung im Rahmen des Bundesarchivs in Betracht kam.

Im Rahmen der konfliktreichen Suche nach möglichen Wegen zur Sicherung der Archiv- und Bibliotheksbestände des IfGA schildert Stamm das Agieren des im März 1991 gegründeten "Förderkreises Archiv und Bibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung". Die Initiative zu dessen Gründung ging von der damaligen Leiterin des Zentralen Parteiarchivs Inge Pardon aus. Stamm beschreibt das umtriebige Agieren der Archivleiterin, die nichts unversucht gelassen habe, das Modell des Trägervereins mit Hilfe des Förderkreises und in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zu realisieren. Doch die Entscheidung über die Zukunft des Archivs fiel auf zentraler politischer Ebene unter Einbeziehung der Bundesarchivverwaltung.

Stamm arbeitet akribisch das Bemühen der an den Verhandlungen beteiligten Institutionen heraus, sowohl ein Auseinanderreißen der Archivbestände zu verhindern als auch den öffentlichen Zugang bzw. die wissenschaftliche Auswertung dieses wertvollen Quellenbestandes sicherzustellen. Dies bedeutete insbesondere, die Übernahme der im Bundesarchivgesetz vorgesehenen 30-jährigen Sperrfrist für die SED-Akten zu verhindern. Während sich die Verhandlungspartner - die Vertreter der PDS, des IfGA, der Bundestagsfraktionen sowie des Bundesinnenministeriums - in der zweiten Jahreshälfte 1991 offenbar einem Kompromiss näherten, versuchten, wie Stamm zeigt, PDS-interne Kritiker erfolglos, die sich abzeichnende Stiftungslösung unter Beteiligung des Bundesarchivs zu torpedieren. Darüber hinaus schildert Stamm die Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand der PDS und der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, die noch durch einen Volkskammerbeschluss im Sommer 1990 gebildet worden war und die Rechtmäßigkeit des Parteivermögens zu bewerten hatte. Als ein wichtiger Akteur im Streit um das Parteiarchiv kommt auch das Direktorat Sondervermögen der Treuhandanstalt ins Spiel, das im Einvernehmen mit der Unabhängigen Kommission über die Verwendung des treuhänderisch verwalteten Parteivermögens entschied.

Eine Ergänzung des Archivgesetzes durch den Deutschen Bundestag im Januar 1992 ebnete den Weg zur Überführung von Archiv und Bibliothek des IfGA in die Verwaltung des Bundesarchivs. Ende Dezember 1992 unterzeichneten Vertreter des Bundesinnenministeriums, des Bundearchivs sowie der PDS einen entsprechenden Einbringungsvertrag. Die Gründung einer unselbständigen Stiftung unter dem Dach des Bundesarchivs bot die Möglichkeit, das Schriftgut einerseits fachgerecht zu sichern und andererseits eine wissenschaftliche Nutzung der Bestände für die historische Forschung zur Geschichte der DDR ohne Behinderung durch archivrechtliche Schutzfristen des Bundesarchivgesetzes zu gewährleisten. Wenngleich die Unterlagen der ehemaligen Blockparteien der DDR letztlich nicht der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) übergeben wurden, beschließt Stamm seine Darstellung über die Kontroversen um die Zukunft des Zentralen Parteiarchivs zu Recht mit einem positiven Fazit. Denn tatsächlich wurden mit der Stiftungsgründung außerordentlich gute Rahmenbedingungen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der DDR geschaffen.

Mit dieser Studie, die sich auf eine breite Quellenbasis und Zeitzeugendokumente stützt, analysiert Christoph Stamm außerordentlich sachkundig den zähen Kampf um die Sicherung und Auswertung des vormals sorgsam abgeschirmten Herrschaftswissens der SED. Er ermöglicht damit auch einen eindrucksvollen Einblick in eine Zeit mit zahlreichen politischen und sozialen Konflikten, die sich nicht an einer imaginären Ost-West-Linie festmachen lassen.

Andreas Malycha