A. Süchting-Hänger: Das "Gewissen der Nation"

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Titel
Das "Gewissen der Nation". Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937


Autor(en)
Süchting-Hänger, Andrea
Erschienen
Düsseldorf 2002: Droste Verlag
Anzahl Seiten
440 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Streubel, Büro der Gleistellungsbeauftragte, Redaktion "Wilhelmine", Universität Münster

Über 19 Millionen Neuwähler sind für ein politisches System, gelinde gesagt, eine Herausforderung. Dies entspricht der Anzahl der Frauen, die im Jahr 1919 bei den Wahlen zur Nationalversammlung erstmals zur Stimmabgabe aufgerufen wurden und die damit über fünfzig Prozent der Wahlberechtigten stellten. Um so erstaunlicher ist es, dass sowohl die politikgeschichtliche Wahl- und Parteienforschung als auch sozialgeschichtliche Milieustudien diesen weiblichen Erstwählern relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Unser Wissen über die politischen Grundüberzeugungen und weltanschaulichen Meinungsäußerungen von Frauen ist nach wie vor extrem lückenhaft. Einen deutlichen Vorsprung kann man hier noch für die Aktivistinnen verzeichnen, die sich im Rahmen der Frauenbewegungen - der bürgerlichen, der sozialdemokatischen und der konfessionellen - engagierten. Erst mit den Studien über die protestantischen Frauenvereine wurden auch die Vertreterinnen rechter Parteien zum Thema. Mittlerweile haben die konservativen, völkischen und nationalsozialistischen Frauen ihren Status als ungeliebte Stiefkinder der Frauen- und Geschlechterforschung abgelegt. Das Thema hat derzeit Konjunktur. Ausgangspunkt hierfür sind zwei Tendenzen der Forschung: Erstens die sogenannte „Opfer-Täterinnen-Debatte“, die nach dem Anteil der Frauen am Aufstieg der NSDAP und dem Funktionieren des NS-Systems fragte. Zweitens die durch die Ereignisse von 1989 dynamisch wiederbelebte Nationalismusforschung, bei der zunehmend die Kategorie Geschlecht einbezogen wird. 1

Das “Gewissen der Nation”

In diesen Forschungszusammenhang gehört auch die Freiburger Dissertation von Andrea Süchting-Hänger, die, so der Untertitel, das nationale Engagement und politische Handeln konservativer Frauenorganisationen zwischen 1900 und 1937 behandelt. Die Verfasserin kann mit ihrer Studie an grundlegende Arbeiten von Ursula Baumann, Jochen-Christoph Kaiser und Doris Kaufmann anschließen. Sie haben in ihren Veröffentlichungen über die protestantischen Frauenvereine die engen Verbindungen zum konservativen Lager in Kaiserreich und Republik aufgezeigt. 2 Dennoch kommt dem „Gewissen der Nation“ der Rang einer Pionierstudie zu. Hier liegt erstmals eine Monographie vor, die sich dezidiert mit dem politischen Engagement protestantisch-konservativer Frauen in den Parteien und in den nationalistischen Frauenvereinen auseinandersetzt. 3 Es ist ein anspruchsvolles Unternehmen, in diesem wenig bearbeiteten Forschungsfeld Orientierung zu schaffen. Andrea Süchting-Hänger gelingt dies mit einer gut strukturierten Darstellung und einer klugen Beschränkung auf ausgewählte Themen. Sie konzentriert sich auf die führenden Persönlichkeiten des weiblichen Konservatismus - auf ihre Meinungsäußerungen, Wertsysteme und Handlungsformen.

Im Mittelpunkt der 440 Seiten starken Dissertation stehen die Zusammenschlüsse konservativer Frauen, die sich ganz bewusst außerhalb des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung, organisiert haben. 4 Den mitgliederstarken Vaterländischen Frauenverein beschreibt Andrea Süchting-Hänger als das „Vorbild patriotischer Frauenarbeit“ (S. 26). Aus den nationalistischen Agitationsverbänden des Kaiserreiches greift sie den Flottenbund Deutscher Frauen und den Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft heraus. Von den radikalnationalistischen Neugründungen der Weimarer Republik werden der Ring nationaler Frauen (mit Kontakten zur jungkonservativen Richtung), der Frauenausschuß zur Bekämpfung der Schuldlüge (finanziell unterstützt vom Auswärtigen Amt) und der Bund Königin Luise (eine ausgesprochen antisemitische Organisation) in die Untersuchung einbezogen. Für den Deutsch-Evangelischen Frauenbund (DEF), der 1918 aus dem BDF austrat, und seinen neuen protestantischen Dachverband, der Vereinigung evangelischer Frauenverbände, wird die enge Orientierung an der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nachgezeichnet. Schließlich wird der Reichsfrauenausschuss der DNVP als die maßgebliche parteipolitische Vertretung konservativer Frauen vorgestellt. Hauptprotagonistinnen der Darstellung sind Käthe Schirmacher, Abgeordnete der Nationalversammlung für die DNVP, die DNVP-Reichstagsmitglieder Paula Mueller-Otfried (zugleich Vorsitzende des DEF), Margarete Behm (Vorsitzende des Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen), Magdalene von Tiling (Vorsitzende der Vereinigung Evangelischer Frauenverbände) und Annagrete Lehmann (Vorsitzende des Reichsfrauenausschusses der DNVP), außerdem die deutschnationalen Journalistinnen Lenore Kühn, Ilse Hamel und Beda Prilipp sowie, als Sprecherinnen der völkischen Richtung, Sophie Rogge-Börner und Marie Diers. Insgesamt treten im Verlauf der Darstellung über sechzig Vertreterinnen der politischen Rechten der Jahre 1900 bis 1937 in Erscheinung, deren Kurzbiographien im Anhang aufgeführt sind. 5

Die theoretischen Vorbemerkungen sind recht knapp gefasst. Andrea Süchting-Hänger knüpft an neuere kulturgeschichtliche Tendenzen der Milieuforschung an und begreift das Netzwerk konservativer Frauenvereine in Anlehnung an Karl Rohe, Detlef Lehnert und Klaus Megerle als weibliche politische Teilkultur, die ihre Basis aus dem konservativen Milieu rekrutierte. Die Frage, ob das konservativ-protestantische Subsystem überhaupt als Milieu im klassischen Sinne gelten kann, wird hier nicht diskutiert. In der Auseinandersetzung um die schwierige Definition des Begriffs ‚Konservatismus‘ für die Zwischenkriegszeit bezieht Süchting-Hänger sich auf die Darstellung von Axel Schildt, der für die Zwanzigerjahre als wichtige neue Faktoren die Notwendigkeit einer Massenbasis, die ungewohnte Rolle in der Systemopposition und die Reaktion auf die Völkischen benennt. Wie für viele andere Arbeiten, die nach dem Verhältnis von Nation und Geschlecht fragen, ist auch hier das Nationalismuskonzept von Dieter Langewiesche wegweisend, wonach der Nationalismus stets Aggression und Partizipation in sich vereint. Für konservative Frauen konnte der Bezug auf die Nation daher zu einer Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten führen. 6

Die Quellenbasis der Arbeit ist breit angelegt. Wichtigste Grundlage bildet die veröffentlichte Meinung der konservativen Frauen, die sie nicht nur in den bekannten Presseerzeugnissen der Rechten, sondern auch in eigenen Frauenzeitschriften publizierten. Diese sprechenden Titel - „Frauenkorrespondenz der DNVP“, „Die Deutschnationale Frau“, „Die Deutsche Frau“ und „Frau und Nation“ - werden erst seit kurzem von der Forschung wahrgenommen und sind bislang noch nicht systematisch analysiert worden. Daneben werden Aktenbestände der Vereine und Parteien sowie die Nachlässe prominenter konservativer Politiker herangezogen. 7

Politisierung im Kaiserreich

Der Aufbau der Arbeit verläuft chronologisch. Die Zeit des Kaiserreiches dient vor allem als Vorgeschichte und zeichnet das Engagement in den genannten rechten Frauenvereinen und deren Organisationsgeschichte nach. Während die konservativen Parteien des Kaiserreiches eine (partei-)politische Beteiligung der Frauen lange Zeit strikt ablehnten, waren karitative Tätigkeiten und Fund-Raising durch weibliche Mitglieder in den nationalistischen Vereinen gern gesehen. Schnell erkannte man, dass auch die Mitarbeit der Frauen bei der Propagandaarbeit den Vereinen zugute kam. Den Ausgangspunkt für die Politisierung der rechtsorientierten Frauen bilden laut Süchting-Hänger zwei gesellschaftliche Transformationsprozesse: Erstens die Erfolge der Frauenbewegungen und zweitens eine allgemeine Modernisierung der Politik auf Grundlage einer Massenbasis. Für ihre Protagonistinnen deutet Andrea Süchting-Hänger den Ersten Weltkrieg als einen Katalysator für die weitergehende Politisierung - z. B. im Nationalen Frauendienst und in der Deutschen Vaterlandspartei - und relativiert in diesem Zusammenhang Ute Daniels These von einer Zementierung der Geschlechterrollen im Krieg.

Von der Revolution bis zur Gleichschaltung

Während Andrea Süchting-Hänger bis zum Jahr 1919 auch auf bestehende Forschungserkenntnisse zurückgreifen kann, ist der Hauptteil der Untersuchung über die Zeit bis 1937 in weiten Teilen ganz aus den Quellen geschrieben. Bei der Strukturierung und Interpretation der Forschungsergebnisse steht Detlef Peukert mit seiner Deutung der Weimarer Republik als „Krisenjahre der klassischen Moderne“ Pate.

Die Chronologie folgt der Einteilung in die drei Zeitabschnitte Anfangsphase, relative Stabilisierung und Auflösung. Inhaltlich lassen sich fünf Hauptthemen ausmachen, die entlang dieser Chronologie entfaltet werden: a) Die Stellungnahmen der konservativen Frauen zu den (außen)politischen Streitthemen ihrer Zeit, b) die Funktionen und Aufgaben der Frauen im Parteiapparat und Vereinswesen c) ihre Haltung bei innerparteilichen Auseinandersetzungen in der DNVP, d) das Verhältnis zum Bund Deutscher Frauenvereine und e) die Auseinandersetzung mit der völkischen Ideologie und dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Die politische Mitarbeit konservativer Frauen in Parlamenten, Ausschüssen und bei parteiinternen Beschlüssen kommt hingegen nur am Rande vor.

a) Andrea Süchting-Hänger greift bei ihrer Analyse der publizierten Meinungsäußerungen konservativer Frauen vor allem die Stellungnahmen zu zentralen Themen der Außenpolitik heraus. Die Entmachtung Deutschlands in Europa war für die konservativen Frauen ein entscheidendes Motiv des Handelns. Die Debatten um den Versailler Vertrag, um Kriegsschuld, die Ruhrbesetzung, Dawes- und Young-Plan radikalisierten die konservativen Frauen. Eindrucksvoll beschreibt Andrea Süchting-Hänger die Ablehnung jeder außenpolitischen Verständigung. Die darin enthaltende starke Identifikation mit der „Ehre der Nation“ ist erstaunlich, bedenkt man, dass die Frauen lange Zeit von der staatlichen Mitbestimmung vollständig ausgeschlossen und niemals als Soldaten in die „Schule der Nation“ gegangen waren. Andrea Süchting-Hänger bietet hier, neben anderen Erklärungsmustern, eine kluge Deutung, indem sie den psychologischen Wert der Anti-Versaille-Arbeit hervorhebt: „hinter ihrer Radikalität [verbarg sich] … ein verzweifeltes Bemühen, die Sinnhaftigkeit des Krieges und damit seine Opfer zu retten“ (S. 398).

b) Für die Interpretation der allgemeinen Massenpolitisierung in nationalistischen Agitationsverbänden hat man in der Forschung eine Kontroverse um die Manipulationsthese „von oben“ und die Selbstorganisationsthese „von der Basis“ ausgetragen. Andrea Süchting-Hänger beschreibt für die Frauenvereine die Wirksamkeit beider Faktoren. Die Männer benötigten die Frauen für eine Massenbasis, die Frauen verbanden mit ihrem Engagement das Eigeninteresse einer sinnvollen, standesgemäßen Tätigkeit und einer Erweiterung ihrer Handlungsspielräume. Propaganda, Aufklärung und Erziehung wurden, neben den „traditionell weiblichen“ Feldern der Fürsorge und Sozialpolitik, zu einer wichtigen Frauenaufgabe in den konservativen Zusammenschlüssen. Die Anti-Versaille-Propaganda der Rechten wurde zu einem großen Teil von den Frauen getragen, die sich als das „Gewissen der Nation“ stilisierten. Viele konservative Frauen konnten die Politik der Regierung offener und radikaler kritisieren, da sie nicht als Funktionsträgerinnen in Staat, Militär oder Verwaltung belangt werden konnten. Auf die enormen Leistungen der protestantischen Frauenvereine bei der Mobilisierung konservativer Frauen für die Wahlen haben bereits Doris Kaufmann und Raffael Scheck hingewiesen und Andrea Süchting-Hänger bestätigt dieses Urteil. Vermutlich während der gesamten Zeit der Weimarer Republik wurde die DNVP mehr von Frauen gewählt als von Männern. Sie stellten zwischen 56 und 60 Prozent der Wähler. Von den meisten konservativen Parteimitgliedern wurden die Frauen gleichwohl nur geduldet und verloren zugunsten männlich dominierter Interessengruppen nach und nach an Einfluss.

c) In den innerparteilichen Auseinandersetzungen der DNVP bestanden die konservativen Politikerinnen auf das „nationalistische Maximalprogramm“ (S. 243). Sie forderten eine Fundamentalopposition gegen alle Pläne, die Reparationsfrage zu regeln, und ließen die Bedenken wirtschaftlicher Interessenverbände nicht gelten. Andrea Süchting-Hänger nimmt an, dass die Zurückdrängung der Frauen aus der parlamentarischen Arbeit zu einer weiteren Radikalisierung gegen die Republik geführt hat. 1928 gingen die konservativen Frauen fast geschlossen auf Hugenbergkurs. Innerhalb der DNVP erreichten sie dadurch für kurze Zeit eine größere Bedeutung. Annagrete Lehmann wurde zur zweiten stellvertretenden Vorsitzenden ernannt. Die Krise des parlamentarischen Systems und die “Politik auf der Straße” führten zu einem Rückgang des Fraueneinflusses, da die Ausschussarbeit stagnierte.

d) Spricht die bewusst gewählte organisatorische Abgrenzung vom Bund Deutscher Frauenvereine für eine antifeministische Grundhaltung bei den konservativen Funktionärinnen? Andrea Süchting-Hänger zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Gegnerschaft zum BDF beschränkte sich auf die parteipolitischen Differenzen und die unterschiedlichen Vorstellungen von einer idealen staatlichen Ordnung. Denn die konservativen Frauen an der Spitze der Deutschnationalen Volkspartei, der protestantischen und nationalistischen Frauenvereine hielten den BDF für grundsätzlich demokratisch und international orientiert. Auf der anderen Seite verteidigten die konservativen Frauen die erworbenen Rechte in Bildung, Beruf und politischer Partizipation gegen antifeministische Anfeindungen. Dies galt, obwohl man den Parlamentarismus als solchen überwinden wollte. In einem autoritären Staat der Zukunft würde man zwar nicht mehr Abgeordnete, dafür aber „Führerin“ sein. Andrea Süchting-Hänger wendet sich gegen Ursula Baumanns These von einem „Niedergang der Frauenbewegung“ in der Weimarer Republik und plädiert dafür, statt dessen von einem Ausdifferenzierungsprozess zu sprechen.

e) Völkische Frauen waren in den Organisationen die Ausnahme und dennoch wichtig für die Durchsetzung völkischer Inhalte im Netzwerk der konservativen Frauen. Ein bemerkenswerter Befund ist, dass der Völkische Reichsausschuss der DNVP unter allen Parteiausschüssen den höchsten Frauenanteil verzeichnete. Die völkische Ideologie bot zahlreiche Überschneidungen mit den angestammten Politikfeldern der Frauen: Gesundheit, Soziales, Familien- und Bevölkerungspolitik. In Anlehnung an Detlef Peukert spricht Andrea Süchting-Hänger von den „Fragmenten eines totalitären Konsenses“ bei den konservativen Aktivistinnen, der sich vor allem in dem steigenden Einfluss rassenhygienischer Vorstellungen zeigte (S. 260f.). Ähnlich wie die Männer ihrer Partei betrachteten die DNVP-Politikerinnen die Nationalsozialisten zunächst nur als nützliche Helfershelfer und befürworteten die Kooperation von DNVP und NSDAP. Zugleich übten sie aber eine überaus deutlich formulierte Kritik an den Weiblichkeitskonzepten führender NS-Ideologen. Den Machtantritt der Nationalsozialisten begrüßten die konservativen Frauen zunächst als Sieg einer nationalen Regierung. Von einer übersteigerten Verehrung Adolf Hitlers kann hier jedoch nicht die Rede sein. Über die allmähliche Aus- und Gleichschaltung der rechten Frauenvereine bis 1937 zeigten sich die meisten Führerinnen bestürzt und waren verärgert, dass ihre Mitarbeit im neuen Staat vielfach nicht mehr gefragt war.

Fazit

Andrea-Süchting-Hänger hat eine spannend geschriebene Arbeit vorgelegt, die zu aktuellen Forschungskontroversen Stellung bezieht. Innerhalb des konservativ-protestantischen Milieus identifiziert sie eine weibliche Teilkultur mit einheitlichen politischen Grundüberzeugungen: Bindung an Monarchie und Christentum, Höchschätzung der Familie, Verankerung in preußischen Traditionen, Gegnerschaft zur organisierten Arbeiterbewegung, die Favorisierung autoritärer Gesellschaftsentwürfe, ein hoher Stellenwert der nationalen Ehre und - das gilt es hervorzuheben - die Bewahrung der Frauenrechte, die von den Aktivistinnen in Abgrenzung zum Nationalsozialismus als genuin konservativ beschrieben wurde. Ein Manko ist, dass im Vergleich zu den ‚tagespolitischen‘ Äußerungen die Grundvorstellungen über Religion und Geschlechterverhältnis etwas kurz kommen. Andrea Süchting-Hänger trägt in ihrer Arbeit eine Vielzahl biographischer Daten über die soziale Formation der Akteurinnen zusammen. Sie zeigt, dass die rechten Funktionärinnen der Weimarer Republik in der großen Mehrzahl aus der Wilhelminischen und der Gründerzeit-Generation stammten. Hier ist jedoch für die Zukunft eine grundlegende geschlechtsspezifische Relativierung des Peukertschen Modells der Politikergenerationen angeraten. Allein schon die Zuordnung von Frauen zur Erfahrungsgemeinschaft der „Frontgeneration“ ist, trotz ihrer Erlebnisse an der Heimatfront, offensichtlich unangemessen. Auch muss gefragt werden, ob für Frauen nicht möglicherweise ganz andere Zäsuren Bedeutung haben, wie es beispielsweise Theresa Wobbe in ihrem Generationenmodell für Akademikerinnen nachgewiesen hat. 8 Der Befund, dass man für diese weibliche Teilkultur keine Unterteilung in eine gesinnungsorientierte und eine standesorientierte Gruppe vornehmen kann (S. 396), scheint etwas voreilig, solange nicht auch die Frauenberufsverbände des Mittelstandes und der Landfrauen in die Analyse einbezogen werden. Gleichwohl hat Andrea Süchting-Hänger für eine künftige Milieuforschung, die die Kategorie Geschlecht systematisch einbezieht, wichtige Grundlagen geschaffen, indem sie für das konservativ-protestantische Subsystem die weiblichen Macher, Manager und Anführer vorgestellt hat. Interessant wäre es nun, die Ergebnisse über die führenden Aktivistinnen mit den Grundüberzeugungen der konservativen Frauen an der Basis zu konfrontieren. 9

Anmerkungen:
1 Wegweisende Veröffentlichungen zu diesen beiden Bereichen sind die Bände Heinsohn, Kirsten/Weckel, Ulrike/Vogel, Barbara (Hg.): Zwischen Karriere und Verfolgung. Handlungsräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland, Frankfurt 1997 und Planert, Ute (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Frankfurt/M. 2000, die jeweils ausgezeichnete Einführungen geben und die neueren Studien nennen. Vgl. demnächst auch: Schöck-Quinteros, Eva/Streubel, Christiane (Hg.): „Ihrem Volk verantwortlich“. Frauen der politischen Rechten (1890-1933), Berlin (erscheint 2003).
2 Baumann, Ursula: Protestantismus und Frauenemanzipation in Deutschland 1850-1920, Frankfurt/M. 1992, Kaiser, Jochen-Christoph: Frauen in der Kirche. Evangelische Frauenverbände im Spannungsfeld von Kirche und Gesellschaft 1890-1945. Quellen und Materialien, Düsseldorf 1985, Kaufmann, Doris: Frauen zwischen Aufbruch und Reaktion. Protestantische Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, München 1980.
3 Die abschließenden Veröffentlichungen zu zwei Forschungsprojekten von Kirsten Heinsohn (Hamburg) und Raffael Scheck (Waterville /USA) im Themenfeld ‚Frauen, Geschlecht und Konservatismus‘ stehen noch bevor.
4 Eine Ausnahme bildet der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft, dessen Mitligedschaft im BDF bis 1933 hier allerdings nicht problematisiert wird.
5 Biographiegeschichtliche Monographien auf breiter Quellengrundlage liegen bislang für die Protagonistinnen nicht vor. Die neue Studie über Magdalene von Tiling ist bislang noch eine Einzelerscheinung: Schneider-Ludorff, Gury: Magdalene von Tiling. Ordnungstheologie und Geschlechterbeziehungen, Göttingen 2001.
6 Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: HZ, Bd. 250, 1990, S. 321-346, Lehnert, Detlef/Megerle, Klaus (Hg.): Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1990, Schildt, Axel: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998, Langewiesche, Dieter: Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert: Zwischen Aggression und Partizipation, Bonn 1994.
7 Nicht berücksichtigt wurde der Nachlass von Käthe Schirmacher.
8 Wobbe, Theresa: Generation und Anerkennung. Wissenschaftlerinnen im frühen 20. Jahrhundert, in: Dieckmann, Elisabeth/Schöck-Quinteros, Eva (Hgg.) unter Mitarbeit von Sigrid Dauks: Barrieren und Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland (= Schriftenreihe des Hedwig Hintze-Instituts, Bd. 5) Berlin 2000, S. 69-85.
9 Dazu jetzt die mikrohistorische Untersuchung der Städte Celle und Greifswald von Frank Bösch und Helge Matthiesen, in der auch Frauenvereine berücksichtigt werden: Frank Bösch unter Mitarbeit von Helge Matthiesen: Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik, Göttingen 2002. Vgl. demnächst auch den Aufsatz von Raffael Scheck in: Schöck-Quinteros/Streubel, wie Anm. 1.

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