J.-C. Couvenhes (Hg.): Les cités grecques en Asie Mineure

Cover
Titel
Les cités grecques et la guerre en Asie Mineure à l'époque hellénistique. Actes de la journée d'études de Lyon, 10 octobre 2003


Herausgeber
Couvenhes, Jean-Christophe; Fernoux, Henri-Louis
Reihe
Collection perspectives historiques 7
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Daubner, Archäologisches Institut, Universität zu Köln

Der Band versammelt sieben Beiträge eines Kongresses in Lyon, der sich mit verschiedenen Aspekten des Krieges im hellenistischen Kleinasien befasste. Die Aufsätze bewegen sich im Überschneidungsbereich der soziologischen Kriegsforschung und der griechischen Epigrafik und gehen allesamt von der Ablehnung einer verbreiteten Annahme aus, die Städte seien in ihrer "Außenpolitik" nichts als Subjekte der Großmächte gewesen. Die durchaus selbstbewusste und aktive Rolle, die sie in den kleinen und großen Konflikten der Zeit spielten, geht unumstößlich aus dem sich ständig vermehrenden Inschriftenmaterial hervor, das in seiner Fülle mittlerweile so unübersichtlich geworden ist, dass die große Notwendigkeit solcher thematischer Zwischenauswertungen, wie sie der vorliegende Band präsentiert, auf der Hand liegt.

In seiner Einleitung (S. 17-20) gibt Pierre Ducrey einen kurzen Überblick über die bisherigen Forschungen zur Soziologie des Krieges in der Antike und betont insbesondere die spezifisch französische Tradition, in die sich der Band einreiht. Bisher habe allerdings hauptsächlich das klassische Griechenland im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden; das hellenistische sei vor allem deshalb vernachlässigt worden, weil die Quellen spärlich und weitgehend unbekannt geblieben seien. Wie dem auch sei; sicher trifft zu, dass die Erforschung des hellenistischen Kleinasiens ein Gebiet darstellt, auf dem in jeder Hinsicht noch sehr viel zu tun bleibt.

Patrice Brun ("Les cités grecques et la guerre: L'exemple de la guerre d'Aristonikos", S. 21-54) will die aktive Rolle der Städte während der von 133 bis 126 v.Chr. andauernden Auseinandersetzungen zeigen, die seiner Meinung nach bisher nicht gebührend Beachtung gefunden habe. Das Verhalten der Städte lässt sich hier aufgrund der zahlreichen, zum Teil erst unlängst publizierten Inschriften besonders gut erfassen. Die Poleis haben niemals als unschuldige Opfer fungiert, sondern waren gut verteidigt und wehrbereit und haben sich von Anfang an aktiv für oder gegen den neuen König Aristonikos entschieden. Es waren keine sozialen Bewegungen am Werk; keine Krise des Pergamenischen Reichs veranlasste die Entscheidung pro oder contra Rom, sondern die Präferenzen der Konfliktparteien seien genuin politischer Natur gewesen: Die Städte verhielten sich in der hellenistischen Zeit genauso wie in der klassischen Epoche. Die Schlüsse Bruns sind sicher in ihrer Pauschalität nicht anfechtbar, jedoch dürfte es schon eine Rolle gespielt haben, unter welchen konkreten Umständen welche Kategorie von Städten welche Maßnahmen ergriff.1 Im Detail leidet Bruns Beitrag unter einigen Ungenauigkeiten, die häufig in der Unkenntnis neuerer nichtfranzösischsprachiger Literatur gründen.2 Gänzlich verfehlt scheint mir die im letzten Absatz (S. 43f.) unternommene Heranziehung der pergamenischen Inschrift Nr. 268 als Beleg dafür, dass die griechischen Poleis unter der Römerherrschaft keineswegs ihre Freiheit verloren haben und im Grunde alles so weiterlief wie bisher, eine Ansicht, die auch im Schlusswort von Maurice Sartre (s.u.) vertreten wird.3 Zu guter Letzt sei angemerkt, dass auf der beigegebenen Karte (S. 25) statt des genannten Apollonis die Stadt Apollonia eingetragen ist.

Andrzej S. Chankowski ("L'entraînement militaire des éphèbes dans les cités grecques d'Asie Mineure à l'époque hellénistique: nécessité pratique ou tradition atrophiée?", S. 55-76) stellt die hellenistische Ephebie als "une institution par excellence civique" (S. 65) dar. Aus dem Gymnasiarchengesetz von Beroia und dem noch unpublizierten Ephebarchengesetz aus Amphipolis wird die Rolle der Ephebie und des Gymnasions im hellenistischen Makedonien deutlich: Die zweijährige Ephebie diente der Vorbereitung der jungen Makedonen auf ihre Rolle als Soldaten; das Gymnasion war der Ort, an dem ein Teil des täglichen militärischen Trainings stattfand (vor allem Bogenschießen und Speerwerfen). Außerhalb Makedoniens scheint die Ausbildungsintensität allerdings viel geringer gewesen zu sein. Einer Untersuchung des Vokabulars für Jungmannschaften (S. 62f.) folgt die ausführliche Begründung des Schlusses, dass die Epheben wahrscheinlich für Grenzpatrouillen eingesetzt wurden. Es schließt sich eine Analyse der von Chankowski "ideologisch" genannten Aspekte des Ephebentrainings an (S. 70ff.). Dieses wird als ein Ritus der Initiation in die Bürgergemeinschaft gedeutet, der mit der Waffenübergabe an die jungen Politen verbunden war.4 Da die Bürgerarmeen weiter eine große Rolle für das Selbstgefühl der Städte spielten, sei diese Verbindung der militärischen Ausbildung mit der Aufnahme in die Bürgerschaft auch nicht verwunderlich, sondern ein Beleg für den Konservatismus der Städte. Chankowski stellt "das hellenistische Gymnasion" als eine Einheit dar und vernachlässigt regionale Unterschiede.5 So fragt es sich, ob das Ritual der Waffenübergabe, das wir aus Beroia in Makedonien, aus Sestos im makedonischen Einflussbereich und aus Arsinoe-Koresia auf Keos, wo makedonische Einflüsse nicht auszuschließen sind, kennen, nicht ein spezifisch makedonisches Ritual ist. Auch ist schwer vorstellbar, was die üblichen Gymnasionsverrichtungen wie Speerwerfen und Bogenschießen mit militärischem Training zu tun haben. Sich in einer Phalanx zu bewegen, lernt man so nicht. Allerdings können wir der Ehreninschrift für Menas aus Sestos deutlich entnehmen, dass ein solcher Zusammenhang gesehen wurde. Hier ist noch viel Detailarbeit zu leisten.

In seinem Beitrag "Les cités grecques d'Asie Mineure et le mercenariat à l'époque hellénistique" (S. 77-113) untersucht Jean-Christophe Couvenhes das Verhältnis zwischen Bürgern und Söldnern in den Poleis. Eines der schwierigsten Probleme bei allen Fragen, die mit Söldnern zu tun haben, ist die Tatsache, dass es im Griechischen kein eigenes Wort für sie gibt. Alle verwendeten Vokabeln (xénos, misthophóros, stratiótes) haben andere Hauptbedeutungen, so dass es schwierig sein kann, Söldner von Bürgersoldaten zu unterscheiden. Zudem sei es nötig, städtische Söldner von denen in den Königsheeren zu unterscheiden. Es schließen sich Überlegungen zum Rekrutierungsvorgang sowie zur Frage der Finanzierung an, bevor anhand einiger Beispiele die Kernfrage des Artikels behandelt wird: die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Söldnern und Bürgern. Unter gewissen Umständen wurde Söldnern das Bürgerrecht verliehen; die katoikiai konnten sich zu Poleis "weiterentwickeln".6 In einem Anhang (S. 107ff.) gibt Couvenhes den Text und eine französische Übersetzung des bedeutenden Vertrages zwischen dem Makedonen Eupolemos und der karischen Stadt Theangela.

"Les cités s'entraident dans la guerre: historiques, cadres institutionels et modalités pratiques des conventions d'assistance dans l'Asie Mineure hellénistique" (S. 115-176) von Henri-Louis Fernoux, der umfangreichste Einzelbeitrag, untersucht die neunundzwanzig überlieferten Symmachie-, Isopolitie- und Sympolitieverträge, die wir aus dem hellenistischen Kleinasien kennen. Detailliert werden die Bedingungen herausgearbeitet, unter denen solche Pakte zwischen Städten geschlossen wurden. Sie waren ein wichtiges Mittel der längerfristigen Diplomatie im stets von Instabilität, Unruhen und Kriegen heimgesuchten hellenistischen Kleinasien. Vor dem Friedensschluss von Apameia und dem Ende des seleukidischen Einflusses in der Region ging es hauptsächlich darum, sich mit anderen Städten gegen Könige zu verbünden, während nach 188 v.Chr. insbesondere Grenzstreitigkeiten Konflikte ausgelöst haben, die aufgrund ihrer lediglich lokalen Bedeutung nicht die Aufmerksamkeit des Geschichtsschreibers erregt haben und die mühsam und mit wenig Sicherheiten anhand der Inschriften rekonstruiert werden müssen.7 Nach eingehender Untersuchung der institutionellen Formen der Verträge (S. 128ff.), der an den Vertragsverhandlungen beteiligten Instanzen (S. 138ff.), der praktischen Anwendung und der Effektivität (S. 159ff.) sowie den Arten der Hilfe kommt Fernoux zu dem Schluss, dass die Form dieser oft fragilen Beistandsverträge nichts mit dem Status der Städte - frei oder abhängig - zu tun habe, was zeige, dass diese Art der lokalen Diplomatie ein essentieller Bestandteil der städtischen Mentalität war.

Markus Kohl ("Sièges et défense de Pergame. Nouvelles réflexions sur sa topographie et son architecture militaires", S. 177-198) stellt die Entwicklung der Verteidigungsanlagen des attalidischen Pergamon dar und untersucht deren Effektivität anhand der Nachrichten über Angriffe auf die Stadt oder über Belagerungen. Das Territorium Pergamons war ebenfalls durch militärische Anlagen geschützt, wenn wir diese auch kaum datieren können und nicht wissen, ob sie mit Epheben, Söldnern oder königlichen Truppen besetzt waren.

Die kulturgeschichtlich höchst interessante Studie "Une culture militaire en Asie Mineure hellénistique?" (S. 199-220) von John Ma versucht anhand der Grabmonumente zu klären, ob es in den Städten so etwas wie eine "militärische Kultur" als wesentlichen Bestandteil der kollektiven Bürgeridentität gegeben habe. Mas Prämisse ist, dass die auf den Grabreliefs dargestellten Soldaten, Pferde und militärischen Ausrüstungsgegenstände auf tatsächliche kriegerische Erfahrungen des Verstorbenen rekurrieren.8 Nach der Auswertung der Zeugnisse und dem Vergleich mit unstreitig kriegerischen Poleis in Griechenland kommt er zu dem kaum überraschenden Ergebnis, dass sich vor allem für die expansionistischen und aggressiven Städte Rhodos, Byzantion und Kyzikos eine militärische Kultur nachweisen lasse. Das Fehlen Milets verwundert ein wenig, aber das ist sicher ein Problem des untersuchten Mediums.

Guy Labarre ("Phrourarques et phrouroi des cités grecques d'Asie Mineure à l'époque hellénistique", S. 221-248) stellt die Rolle der Garnisonen und der Garnisonskommandanten dar, die von Herrschern und Städten an strategisch wichtige Stellen gesetzt wurden, um Zugangswege und Grenzgebiete abzusichern. Er berichtet von neu entdeckten Befestigungen bei Kaunos, auf der samischen Peraia sowie bei Smyrna und zeigt, welche Rolle die Garnisonen in den inneren Streitigkeiten der Städte spielten und wie die Bürger Anstrengungen unternahmen, die den Frieden der Stadt nicht nur sichernden, sondern auch bedrohenden Fremden unter Kontrolle zu halten bzw. durch Bürgerrechtsverleihungen oder den streng geregelten Vorgang der Ernennung zum Phrourarchen einzubinden. Mit der Übernahme der Herrschaft durch die Römer kam schließlich das für die hellenistische Zeit so bedeutsame Garnisonswesen zum Erliegen.9

In seinem Schlusswort (S. 249-255) versucht Maurice Sartre, die gewaltige Zäsur der römischen Herrschaftsübernahme in den Jahren 133-126 zu relativieren. Er betont die unbestrittenen Tatsachen, dass Rom vielen Städten Kleinasiens die Freiheit ließ und dass es weiterhin kriegerische Konflikte gab, und zieht daraus den vertrauten, aber m.E. längst abzulehnenden Schluss, dass Rom die Tradition der hellenistischen Königreiche fortgeführt habe und "eigentlich nichts passiert" sei (Anm. 3).

Sehr nützliche Indices, ein Abkürzungsverzeichnis und zwei Karten runden den Band ab, der zum größten Teil höchst anregend ist und einige wichtige Bilanzen zieht, die bei der künftigen Beschäftigung mit den entsprechenden Themen unverzichtbar sein werden.10

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Basile, Mario, Le città greche ed Aristonico, Seia 2 (1988), S. 104-116; Daubner, Frank, Bellum Asiaticum, München 2003, S. 139-158.
2 Ein Beispiel mag dies illustrieren: Das von Michael Wörrle kürzlich herausgegebene pergamenische Ehrendekret für Menodoros (Pergamon um 133 v.Chr., Chiron 30, 2000, S. 543-576), das seine Thesen stützen würde, bleibt unerwähnt, ebenso die Wiederauffindung des sogenannten SC Popillianum (ebd., S. 566ff.) und die dadurch ermöglichte richtige Datierung und Lesung, welche die ohnehin aus logischen Gründen (vgl. Daubner, wie Anm. 1, S. 110-117) unwahrscheinliche auf S. 45 wiedergegebene Lesung ersetzen sollte.
3 Innerhalb des Bandes vertritt lediglich Guy Labarre (S. 244) eine Gegenposition. Aus der umfangreichen Forschungsliteratur zu dieser Frage sei besonders erwähnt: Ferrary, Jean-Louis, Rome et les cités grecques d'Asie Mineure au IIe siècle a.C., in: Bresson, Alain; Descat, Raymond (Hgg.), Les cités d'Asie Mineure occidentale au IIe siècle a.C., Bordeaux 2001, S. 93-106; vgl. auch Virgilio, Biagio, A propos des cités d'Asie Mineure occidentale au IIe siècle a.C., Revue des Études Anciennes 106 (2004), S. 263-287, hier 272ff.
4 Zu Ephebie und Gymnasion vgl. auch v. Hesberg, Henner, Das griechische Gymnasion im 2. Jh. v.Chr., in: Wörrle, Michael; Zanker, Paul (Hgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus (Vestigia 47), München 1995, S. 13-27: Das Gymnasion wird ab dem späten 3. Jh. zu "einer Art dauerhaftem Festplatz definiert"; die Pracht der baulichen Ausstattung diente dazu, den Zeitabschnitt der Ephebie als bedeutsam hervorzuheben.
5 Wie groß diese sein können, betont Gauthier, Philippe, Notes sur le rôle du gymnase dans les cités hellénistiques, in: Wörrle; Zanker (wie Anm. 4), S. 1-11, hier S. 9.
6 Hier stellt sich die Frage, ob unter den S. 91 genannten attalidischen Militärkolonien der gutbekannte Fall der Verleihung der Polisrechte an das phrygische Tyriaion (vgl. zuletzt Schuler, Christof, Kolonisten und Einheimische in einer attalidischen Polisgründung, Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 128, 1999, S. 124-132, und Boffo, Laura, Lo statuto di terre, Dike 4, 2001, S. 233-255) in einer Reihe mit den anderen Orten stehen kann. So wissen wir z.B. nicht, ob Apollonis nicht von Anfang an eine Polis gewesen ist.
7 Vor allem die Datierungsfrage ist essentiell, wie Fernoux (S. 117) betont, und häufig ist sie auch unlösbar.
8 Er bezieht damit ausdrücklich die Gegenposition zu Fabricius, Johanna, Die hellenistischen Totenmahlreliefs, München 1999.
9 Ergänzend zu diesem Beitrag vgl. Chaniotis, Angelos, Foreign Soldiers - Native Girls?, in: ders.; Ducrey, Pierre (Hgg.), Army and Power in the Ancient World, Stuttgart 2002, S. 99-113, sowie Ma, John, Oversexed, overpaid and over here. A Response to Angelos Chaniotis, in: ebd., S. 115-122.
10 Verschwiegen werden sollte nicht, daß Satz- und Druckfehler in von wissenschaftlichen Publikationen nicht gewohntem Ausmaß auftreten. Die von Filippo Canali de Rossi in seiner Besprechung des Bandes (Bryn Mawr Classical Review, 2004.09.26) gegebene Fehlerliste (in Anm. 2 und 4) zeigt lediglich einige wenige Beispiele. Ich möchte die Liste nicht komplettieren, lediglich auf einige weitere Fälle aufmerksam machen: S. 37, Anm. 67 muß es heißen "hai te poleis"; S. 180, Anm. 7 "Archaische Siedlungen"; S. 203 "Johanna Fabricius"; S. 216 "Zeugnisse bürgerlichen Selbstverständnisses". Die ungewöhnlich schnelle Publikation der Beiträge ist erfreulich, aber die schlechte Redaktion trübt die Freude doch einigermaßen.