Cover
Titel
Kontrapunkt. Vergangenheitsdiskurse und Gegenwartsverständnis. Festschrift für Wolfgang Jacobmeyer zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Mecking, Sabine; Schröder, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Boris Spix, Greifswald

Krieg und Vergangenheitsbewältigung, historische Bildung und Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert sind die Schlagworte, um die sich die Aufsätze in diesem Sammelband gruppieren, der zum 65. Geburtstag des Münsteraner Zeithistorikers und Geschichtsdidaktikers Prof. Dr. Wolfgang Jacobmeyer herausgegeben wurde. Die versammelten 29 Beiträge, meist aus der Feder von Schülern/innen Jacobmeyers, orientieren sich damit an dessen Schwerpunkten in der zeitgeschichtlichen und didaktischen Forschung und Lehre.

Die beiden Weltkriege von den Ausprägungen des deutschen Besatzungsregimes in Osteuropa über Umsiedlung, Migration und Kriegsgefangenschaft bis hin zum Umgang mit den Folgen des Krieges und seiner mentalen „Bewältigung“ sind das Grundthema des ersten Teils des Sammelbandes. Einige Aufsätze seien herausgegriffen: Der Beitrag von Sabine Mecking verdeutlicht am Beispiel des Dauerkonfliktes zwischen Kommune und preußischem Staat in Münster um die Verwendung von Symbolen des Kaiserreiches und der Republik nach 1918, wie wenig sich die auf lokaler Ebene dominierende, vermeintlich so republiktragende Zentrumspartei mit dem Ende des Kaiserreiches und der neuen staatlichen Ordnung abfinden wollte. In den Kontext der Diskussion um die Verbrechen von Wehrmacht und SS sind die beiden Aufsätze vom Timm C. Richter und Klaus Jochen Arnold zu stellen. Obwohl sie beide auch die Vergehen der Wehrmacht betonen, wird doch der Eindruck vermittelt, die regulären Streitkräfte seien im Gegensatz zur SS im Allgemeinen weniger brutal vorgegangen, hätten zumindest versucht, die Bevölkerung in den besetzten Gebieten Osteuropas halbwegs menschlich zu behandeln. Ein instruktiver Einblick in die Auswirkungen des Krieges auf Kinder am Beispiel Münsters und einen Aufsatz zu den Versuchen von Polizeibeamten, nach 1945 die Rolle der Ordnungspolizei bei den Verbrechen des Dritten Reiches in der Polizeigeschichtsschreibung zu verharmlosen, runden diesen Teil ab.

Die Beiträge im zweiten, umfangreichsten Teil des Sammelbandes fragen, wie Erlebnisse und Erinnerungen zur geschichtlichen Vorstellung und zur historischen Bildung späterer Generationen wurden. Die versammelten Aufsätze zeigen, dass die historische Didaktik das Verständnis der Geschichte als ein Phänomen der Gegenwart begreift, die sich selbst durch das Verhältnis definiert, dass sie zur Vergangenheit einnimmt. Dabei kommt in den Blick, wie sich die Intentionen staatlich verordneter und schulisch erstrebter historischer Bildung infolge der historischen Zeitbrüche im 19. und 20. Jahrhundert wandeln und inwieweit diese vorherrschenden Mustern und Mythen der Vergangenheitsdeutung folgen oder damit kontrastieren. Drei Aufsätze untersuchen dies anhand des Wandels von Richtlinien und Schulbüchern zu den Themen Reichsdeputationshauptschluss, preußischer Verfassungskonflikt und Umgang mit dem Islam. Drei weitere Beiträge analysieren den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten und seine Ergebnisse. Besonders interessant ist dabei die Entwicklung des Umganges mit dem Thema Migration in den mehr als 30 Jahren des Bestehens des Wettbewerbes. Denn viele Schüler/innen greifen bei dieser Fragestellung nicht die Geschichte der Migranten aus anderen Ländern, sondern die Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945, also die Migration der eigenen Familie, auf. Überwog dabei in den 1970er- und 1980er-Jahren oft die ablehnende Haltung gegenüber den Vertriebenen der Elterngeneration und insbesondere der revisionistischen Politik ihrer Verbände, zeigte sich ab den 1990er-Jahren, dass sich das Verhältnis zwischen den Enkeln und ihren Großeltern beim Thema Vertreibung entspannt hat. Zugleich wird deutlich, dass die Enkelgeneration keinerlei Beziehung mehr zur ehemaligen „Heimat“ ihrer Großeltern hat und daher auch kein Interesse mehr an diesen Gebieten zeigt. Zu den Ferienländern Italien, Spanien oder den USA haben die heranwachsenden Deutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen viel stärkeren Bezug als zu Schlesien oder Ostpreußen.

In den Mittelpunkt der Betrachtung rücken im dritten Abschnitt „Geschichtskultur“ die Vermittlungsinstanzen von Geschichte, wie Museen, historische Vereine oder Gedenkstätten. Die versammelten Aufsätze verdeutlichen, dass all diese Einrichtungen selbst das Produkt der wechselnden Deutungen von Geschichte und eines stark emotional besetztes Feld des öffentliches Streites divergierender Geschichtsdeutungen sind. So enthält dieser Abschnitt nicht nur die Geschichte von Institutionen historischer Vergegenwärtigung, sondern auch Beiträge, die versuchen, den öffentlichen Prozess der Bildung von historischen Vorstellungen im individuell-biografischen wie kollektiven Bewusstsein zu erschließen. Die Aufsätze setzen dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Vergegenwärtigung des Vergangenen am Beispiel der Geschichte des Judentums und des Holocaust; sie reichen aber auch bis zur Analyse der Vermittlung historischer Sachverhalte in modernen Brettspielen, bei denen es oft immer noch mehr auf Ereigniswissen als auf Zusammenhänge und Geschichtsverständnis ankommt.

So fügen sich die Beiträge des Sammelbandes, bei aller punktuellen Auswahl der Themen, in das Konzept der Historik, die historische Forschung, Bildung und öffentliche Geschichtskultur als einen interdependenten Zusammenhang von Gegenwartsverständnis und Vergangenheitsdeutung begreift. Daher ist der Band ein wichtiger Beitrag zur historischen und geschichtsdidaktischen Diskussion. Dass er sich vor allem auf die Zeitgeschichte bezieht, entspricht dem Schwerpunkt von Forschung und Lehre des Jubilars und bildet, bei aller Unterschiedlichkeit der Beispiele, den gemeinsamen historischen Zeitrahmen.

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