Im Fokus dieser Ausgabe von Der Nervenarzt stehen aktuelle Themen und Kontroversen der Neurointensivmedizin, die auch den Mittelpunkt der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin und des Joint Meetings mit der Neurocritical Care Society vom 23. bis 26. Januar 2013 in Mannheim darstellen.

Das Management des Neurointensivmediziners basiert sowohl auf Kenntnissen der Fachdisziplinen Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie und allgemeine Intensivmedizin als auch auf Fakten aus Fallstudien, wenigen randomisierten Studien, Konsensentscheidungen, Expertenmeinungen und Erfahrungen mehrerer Generationen. Der interdisziplinäre Ansatz spiegelt sich bei den Themen und Autoren dieses Heftes wider. Bisherige Erkenntnisse, offene Fragen und derzeitige Forschungsvorhaben von zurzeit im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stehenden Krankheitsbildern werden in den einzelnen Artikeln diskutiert.

Tägliche Aufwach- und Spontanatmungsversuche führten bei allgemeinen Intensivpatienten zu einer Verkürzung der Beatmungszeit, der Liegedauer und einer Senkung der Delirrate. Dies wäre auch für den Neurointensivpatienten wünschenswert, aber sind die Protokolle aus der allgemeinen Intensivmedizin und die Sedierungsskalen auch bei Patienten mit Dysphagie, intrakranieller Hypertension oder mit neuromuskulären Erkrankungen anwendbar?

Das Konzept des Vasospasmus als Risikofaktor für eine schlechte Langzeitprognose nach Subarachnoidalblutung obliegt momentan einem Wandel hinsichtlich der Definition, Diagnostik und Therapie. Für das funktionelle Langzeitbehandlungsergebnis ist im Wesentlichen der initiale Schweregrad der Subarachnoidalblutung verantwortlich. Symptomatischer Vasospasmus beeinflusst das Outcome nur im Zusammenhang mit tatsächlich stattgehabter zerebraler Ischämie im Sinne der „delayed cerebral ischemia“ (DCI). Multimodale Monitoringstudien erbrachten Hinweise auf multifaktorielle Ursachen und Therapieeffekte, z. B. das Konzept der „spreading depolarization“. Die Diagnostik stellt die Perfusionsbildgebung mehr in den Mittelpunkt und vom „Triple-H“-Therapiekonzept ist nur die Hypertension effektiv in der Behandlung der DCI.

Die Bedeutung von nonkonvulsiven Status epileptici gerade in der neurologischen Intensivmedizin wird heiß diskutiert. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit des kontinuierlichen EEG- und intrakortikalen Monitorings werden nonkonvulsive Anfälle sicherlich häufiger dokumentiert. Die klinische Signifikanz ist weniger gut untersucht. Es deutet sich aber an, dass ein nonkonvulsiver Status epilepticus in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Ursache oft mit einer ungünstigen Prognose vergesellschaftet ist. Inzwischen wird er in anderen Teilen der Welt aggressiv mit intravenösen Sedativa behandelt, die Datenlage ist nach wie vor begrenzt.

Multimodales Monitoring in der Neurointensivmedizin umfasst neben der Hirn- und Perfusionsdruckmessung, transkraniellem Dopplerultraschall und evozierten Potenzialen die intrazerebrale Messung von Hirnsauerstoffpartialdruck mittels Licox-Sonde, von Metaboliten und Neurotransmittern wie Glukose, Pyruvat, Laktat, Glutamat und Glyzerol mittels Mikrodialyse, die direkte Messung des zerebralen Blutflusses sowie kortikales oder Oberflächen-EEG-Monitoring. Durch den Einsatz dieses Monitorings wurden insbesondere Prozesse der Autoregulation bei zerebraler Hirnschädigung und Mechanismen der Sekundärschäden bei ischämischem Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, intrakraniellen Blutungen und anderen neurointensivmedizinischen Krankheitsbildern besser verstanden. Diese neuen Erkenntnisse sollten in zukünftige Behandlungsprotokolle einfließen. Ein Anfang ist die Brain Tissue Oxygen Monitoring in Traumatic Brain Injury (BOOST 2)-Studie, die die Effizienz von Behandlungsprotokollen zur Sicherstellung ausreichender zerebraler Oxygenierung testet.

Neue Therapieansätze bestimmen auch die Forschungslandschaft bei den intrazerebralen Blutungen. Mit dem intrazerebralen Blutvolumen als wichtigstem prognostischem Indikator gilt es, das Hämatomwachstum so schnell wie möglich einzudämmen oder das Hämatom in seiner Größe zu reduzieren. Zu diesen Behandlungszielen laufen zurzeit Phase-II- und -III-Studien zur Blutdrucksenkung nach intrazerebraler Blutung, Thrombolyse intraventrikulärer oder intrazerebraler Blutungen, Kraniotomie und stereotaktischen mikrochirurgischen Eingriffen zur Reduktion des Blutvolumens, Hypothermie sowie Ableitung von Blutabbauprodukten mittels lumbaler Drainage.

Im Sinne der Implementation von Leitlinien und evidenzbasierter Medizin in der Neurointensivmedizin, die in den vorherigen Arbeiten diskutiert werden, führten Mitglieder der IGNITE (Initiative for German NeuroIntensive Trial Engagement)-Gruppe eine Umfrage unter deutschen Neurointensivstationen zu deren Standards, Behandlungsprotokollen und Scores durch. Trotz zunehmender Veröffentlichung von Leitlinien werden diese in der täglichen Praxis nur teilweise angewandt. Anästhesiologisch geführte Neurointensivstationen nutzen die Therapiestandardisierung z. B. zur Hirndrucksenkung signifikant häufiger als neurologisch geführte Stationen. Die in Studien validierten Outcome-bestimmenden Scores werden eher selten im neurointensivmedizinischen Alltag berücksichtigt. Diese Tatsachen und die Beiträge dieses Heftes sollten uns also motivieren, die Situation und Ausbildung in der Neurointensivmedizin zu verändern.

Wir hoffen, dass Sie aus diesen Beiträgen Erkenntnisse für Ihr tägliches Management mitnehmen und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Dr. Katja Wartenberg

PD Dr. Martin Köhrmann