J. M. Gázquez: Medieval Latin Translators

Cover
Titel
The Attitude of the Medieval Latin Translators Towards the Arabic Sciences.


Autor(en)
Gázquez, José Martínez
Reihe
Micrologus' Library 75
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 213 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Wolff, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wer sich mit dem Aufstieg lateinisch-christlicher Bildungsinstitutionen seit dem Hochmittelalter beschäftigt, kommt kaum umhin, sich auch mit den lateinischen Übersetzern von Werken in arabischer Sprache zu befassen. Es waren nämlich die (Wieder-)entdeckungen originär arabischer oder durch das Arabische vermittelter Schriften der griechischen Antike, die im 13. und 14. Jahrhundert an den Universitäten für große Aufregung sorgten, da sie das theologische mit dem säkularen Denken konfrontierten, die Scholastik in eine Krise stürzten und so eine intellektuelle Wende beförderten, die die europäische Bildungs- und Wissensgeschichte nachhaltig verändern sollte.1

Der emeritierte spanische Philologe José Martínez Gázquez hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Momente des Kulturkontakts, in denen lateinisch-christliche Übersetzer auf Werke (griechisch-)arabischer Wissenschaft und der islamischen Religion stießen, genauer zu untersuchen und seinen Leser/innen in Form einer Quellenanthologie nahezubringen. Die Publikation geht auf eine Dankesrede zur Aufnahme des Autors in die Reial Acadèmia de Bones Lletres in Barcelona von 2007 zurück, die auf Spanisch veröffentlicht wurde.2 Für die nun vorliegende englische Übersetzung wurden zahlreiche Passagen direkt übernommen und ergänzt, sodass sich der Textumfang verdoppelt hat. Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt. Neben der sehr knappen Einleitung (Kapitel 1) und einer kurzen Zusammenfassung (Kapitel 7) widmet sich das umfangreiche zweite Kapitel ganz allgemein den Übersetzern aus dem Arabischen ins Lateinische zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert. Anders als in diesem Kapitel werden in den folgenden Kapiteln 3 bis 5 inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. So werden im dritten Kapitel die Bedeutung Spaniens für den Übersetzungsprozess und in Kapitel 4 Kritik an den Übersetzungen thematisiert. Im fünften Kapitel geht es um die Bedeutung Toledos, während Kapitel 6 die Übersetzungen aus dem Arabischen ins Kastilische behandelt und somit das Pendant zu Kapitel 2 ist, jedoch deutlich kürzer als dieses ausfällt. Die jeweiligen Kapitel sind dabei derart strukturiert, dass in chronologischer Reihenfolge die Biografien bedeutender Übersetzer mit zentralen Quellen vorgestellt werden. Stets geht Martínez Gázquez dabei so vor, dass einer knappen biografischen Skizze eine regestenhafte Wiedergabe derjenigen Quellenpassagen folgt, aus denen Informationen zur Haltung des jeweiligen Übersetzers gegenüber der arabischen Wissenschaft gewonnen werden können. Daran schließt die direkte Wiedergabe relevanter Quellenzitate an.

Ohne sich bewusst auf einen bestimmten Zeitraum des Mittelalters beschränken zu wollen, wird schnell deutlich, dass es vor allem das 12. und 13. Jahrhundert waren, in denen eine regelrechte Übersetzungswelle ausgelöst wurde und sich Gelehrte aus ganz Europa auf die Suche nach neuem Wissen begaben. Ihre Reise endete häufig auf der iberischen Halbinsel und insbesondere in Toledo. Hier standen nämlich nach der christlichen Eroberung im Zuge der Reconquista (1085) nicht nur zahlreiche arabische Bücher zur Verfügung, sondern mit seinen (mozarabisch-)christlichen, jüdischen und muslimischen Bewohnern existierte zudem eine Bevölkerungsstruktur, die ideale Voraussetzungen für den Erfolg vieler Übersetzungsprojekte bereitete: die Arbeit in interreligiösen Teams, deren Übersetzungen häufig in einem mehrstufigen Prozess aus dem Arabischen ins Lateinische übertragen wurden.

Dass Übersetzer heute überhaupt identifizierbar sind, ist diesen selbst zu verdanken, da sie in den Prologen zu ihren Übersetzungen häufig auf sich verweisen. Diese Prologe sind daher auch zentrale Quellen für Martínez Gázquez’ Untersuchung. Dabei bleibt er seiner Linie nicht immer treu, nur diejenigen Quellen sprechen zu lassen, die auch aus der Feder eines der am Übersetzungsprozess Beteiligten stammen. Eine Ausnahme bilden etwa die muslimischen Chroniken, die in dem Kapitel zur Kritik an der Übersetzungstätigkeit behandelt werden. Sind die lateinisch-christlichen Übersetzer nämlich häufig voll des Lobes über die Wissensschätze, auf die sie stoßen, und werden sich damit zugleich ihrer eigenen kulturellen Unterlegenheit gewahr, zeigt sich hier die Kehrseite. So schildert der Chronist Abū ʿAlī ibn Rashīq, wie nach der christlichen Eroberung Murcias Priester und Mönche in die Stadt Einzug hielten und Bücher nur deshalb übersetzten, um sie zu kritisieren und gegen Muslime zu verwenden. Und in Sevilla wollte Ibn ʿAbdūn seinen muslimischen Glaubensgenossen gar verbieten, arabische Bücher an Juden und Christen zu verkaufen, da diese deren Erkenntnisse für sich reklamierten. Solche kontrastierenden Quellen, die in der Überlieferung quantitativ in keinem Verhältnis zur lateinischen Überlieferung stehen, verdeutlichen, dass die Muslime in den eroberten Gebieten keinesfalls in jedem Fall bereitwillige Lieferanten für die lateinische Universität waren.

Derartige Brüche im Narrativ der Wissens- und Bildungsrevolution, die nur gelegentlich aufblitzen, hätten durchaus stärker in den Vordergrund gerückt und prominenter platziert werden können, etwa bei der Frage danach, welche Themen besonders häufig übersetzt wurden. Martínez Gázquez bemüht das Narrativ einer lateineuropäischen Gelehrtenkultur, die sich ihrer wissenschaftlichen Leerstellen bewusst ist und diese mit den Texten der iberischen Halbinsel auszufüllen sucht. Unberücksichtigt bleiben bei einer solchen Betrachtung allerdings zeitgenössische Moden. So wurde in al-Andalus häufig auch dann die Lektüre andalusischer Autoren kultiviert (und diese schließlich ins Lateinische übertragen), wenn diese von Autoren anderer Regionen wissenschaftlich längst als überholt galten. Die lateinischen Übersetzer waren sich dessen aber nicht immer bewusst oder suchten entschieden die kulturelle Imitation, mitunter auch – wie das Beispiel Daniel von Morleys zeigt –, um sich von der Pariser Universitätskultur abzugrenzen.3 Martínez Gázquez’ generalisierende Ergebnisse stehen daher bisweilen in einem Missverhältnis zur eingeschränkten Aussagefähigkeit einiger seiner Quellen und dem eigentlich formulierten Anspruch, lediglich einige persönliche Reflexionen der Übersetzer zu untersuchen.

Der biografische Zugriff auf die Übersetzer und ihre Werke ist insgesamt gelungen, da er die Möglichkeit bietet, Informationen zu Leben und Werk einzelner Autoren rasch, konzis und auf dem aktuellen Stand der Forschung nachzuschlagen. Auch das Register, das den Band abschließt, ist hierfür hilfreich. Ärgerlich ist aber vor allem die Wiedergabe der Quellen, die editorischen Standards nicht genügt. Weder werden Besitznachweise zu überlieferten Manuskripten noch vorhandene Editionen genannt, ein kritischer Apparat fehlt völlig. Stattdessen begnügt sich der Autor damit, die zitierten Passagen stillschweigend sprachlich zu bereinigen und mit einer Fußnote zu versehen, aus der nicht immer klar hervorgeht, ob es sich bei dem Titel, auf den verwiesen wird, um eine Edition oder um Forschungsliteratur handelt. Zahlreiche Verweise führen zudem ins Leere. Wer über solche Mängel hinwegsehen kann, weil er oder sie das Werk ausschließlich für die Lehre benutzen möchte, wird möglicherweise dahingehend enttäuscht werden, dass die Quellen – anders als von Verlag und Klappentext angekündigt – nicht sowohl im lateinischen oder kastilischen Original als auch in englischer Übersetzung abgedruckt sind. Arabische Quellen werden ausschließlich auf Englisch wiedergegeben, die lateinische Überlieferung ausschließlich auf Latein. Lediglich die kastilischen Quellen finden sich in Originalsprache und Übersetzung wieder.

Dem Autor gelingt es letztlich anhand der ausgewählten Quellen, eine Konfliktgeschichte zu erzählen, deren Hauptlinien nicht nur zwischen der Faszination für das neue Wissen auf der einen und der Ablehnung der fremden Religion auf der anderen Seite verlaufen, sondern auch zwischen den verschiedenen Wissenskonzepten von moderni und antiqui, mithin also intergenerationell. Es ist allerdings fraglich, ob der biografische Zugriff in Form einer Quellenanthologie die geeignete Darstellungsform für eine solche Erzählung ist.

Anmerkungen:
1 Alain de Libera, Denken im Mittelalter, Paderborn 2003.
2 José Martínez Gázquez, La ignorancia y negligencia de los latinos ante la riqueza de los estudios árabes, Barcelona 2007.
3 Dimitri Gutas, What was there in Arabic for the Latins to Receive? Remarks on the Modalities of the Twelfth-Century Translation Movement in Spain, in: Andreas Speer / Lydia Wegener (Hrsg.), Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 33.), Berlin 2006, S. 3–21; Thomas Ricklin, „Arabes contigit imitari“. Beobachtungen zum kulturellen Selbstverständnis der iberischen Übersetzer der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in: Speer / Lydia (Hrsg.), Wissen über Grenzen, S. 47–67.

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