Wasser ist nicht nur der Ursprung allen Lebens auf der Erde, sondern mit einem geschätzten Volumen von 1,4 Mrd. Kubikkilometern auch sein größter und wichtigster Rohstoff. Die Agenda 21 (1992) der Vereinten Nationen beschreibt für alle wesentlichen Politikbereiche die Anforderungen an eine umweltgerechte und nachhaltige Entwicklung. Zwei Kapitel dieser Agenda sind dem Thema Wasser – dem Schutz der Meere und Küstengewässer sowie dem Schutz der Süßwasserressourcen – gewidmet. Steigender Wasserverbrauch, nicht-nachhaltige Nutzungsformen der Wasserressourcen und zunehmende Wasserverschmutzung führen in vielen Regionen der Welt zu einer bedrohlichen Verknappung des Trinkwassers und gefährden den Erhalt von Naturräumen und Ökosystemen. Wasser ist deshalb eines der zentralen Themen des globalen Wandels, zu dessen Bewältigung auch die Wasserforschung substanziell beitragen muss. In dieser UWSF-Ausgabe beginnt eine Serie Wasser – elementare und strategische Ressource des 21. Jahrhunderts von Lehn und Parodi, mit der in drei Beiträgen die Hintergründe einer konstatierten „globalen Wasserkrise“ aufgearbeitet und Vorschläge eines nachhaltigen Umgangs mit Wasserressourcen skizziert werden (Lehn und Parodi 2009).

Die anhaltende Belastung aquatischer Ökosysteme mit vom Menschen hergestellten Fremdstoffen (Xenobiotika) bleibt trotz der unbestreitbaren großen Fortschritte in der Gewässerreinhaltung auch unter den Bedingungen der modernen westlichen Gesellschaften eine der größten Herausforderungen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Abwässer aus diversen menschlichen Aktivitäten tragen jährlich weltweit etwa 600 Mio. t Schadstoffe in Gewässer ein; von über 100.000 registrierten chemischen Verbindungen befinden sich zwischen 30.000 und 70.000 in nennenswerten Mengen in täglichem Gebrauch (Schwarzenbach et al. 2006). Die Identifikation von Umweltschadstoffen, die Aufklärung der Stoffströme in der Umwelt und deren Wirkung auf Mensch und Ökosystem stellen uns vor ein enormes Problem, dessen Komplexität erst in Anfängen verstanden ist. Für viele Chemikalien gibt es keine umweltrelevanten Daten, und wir wissen in den meisten Fällen nicht, wie diese Substanzen die körperliche und geistige Entwicklung des Menschen sowie die Umwelt beeinflussen können. Mit der Europäischen Chemikalienrichtlinie REACh (EC 2007) wird ein Weg aufgezeigt, diese Situation schrittweise zu verbessern. Im Hinblick auf die Vielfalt von synthetischen chemischen Verbindungen stellen mögliche Synergieeffekte und Transformationsphänomene in der Umwelt oder im Körper eine weitere Ebene der Komplexität dar, die wir bestenfalls ansatzweise verstehen. Nachdem sich die Toxikologie und Ökotoxikologie in der Vergangenheit vor allem mit der akut toxischen Wirkung definierter prioritärer Stoffe auf Organismen befassten, konnten deren Konzentrationen in der Umwelt durch Maßnahmen des Gewässerschutzes zunächst deutlich reduziert werden. So haben sich die Quecksilberemissionen in die Oberflächengewässer Deutschlands zwischen 1985 und 2000 um 85 % verringert (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2006), oder – wie im Beitrag von Rüdel et al. (2009) in dieser Ausgabe dargestellt – die Konzentrationen von Organozinnverbindungen in biologischen Proben aus Nord- und Ostsee. Da aber z. B. trotz der Verbesserung der Wasserqualität die Abnahme der Artenvielfalt aquatischer Ökosysteme und auch Bestandsrückgänge von Fischen (Braunbeck et al. 2009; Keiter et al. 2009) nicht gestoppt werden konnte, wendet sich das Augenmerk der ökotoxikologischen Forschung zunehmend einer komplexen Betrachtung der gesamten Schadstoffsituation eines Gewässers zu (vgl. z. B. Brack et al. 2005a,b, 2007, 2009; Reifferscheid et al. 2005: Claus et al. 2009a; Hollert et al. 2007, 2009a,b). Viele Stoffe der in einem Gewässer vorkommenden komplexen Schadstoffmischungen treten nur in geringen Spuren auf und sind deshalb analytisch vor dem Hintergrund einer interferierenden Matrix kaum zu fassen. Sie entfalten jedoch für sich oder im Gemisch mit anderen Komponenten erhebliche Schadwirkungen gegenüber aquatischen Organismen und ggf. über eine Anreicherung in der Nahrungskette auch gegen Menschen.

Vor dem beschriebenen Hintergrund sollten akute und mechanismusspezifische Biotestverfahren stärker für eine Identifizierung eines vermeintlichen Schädigungspotenzials eingesetzt werden, um den Nachteil auszugleichen, den ein rein chemisches Monitoring in sich birgt (vgl. Hollert et al. 2009a; Reifferscheid et al. 2009). Es zeigt sich derzeit in mehreren laufenden nationalen und internationalen Forschungsprojekten, dass der Ansatz der wirkungsorientierten Analytik hervorragend geeignet ist, bisher unbekannte bzw. durch Monitoringprogramme nicht erfasste Schadstoffe mit adverser Wirkung zu identifizieren (z. B. Brack et al. 2005a,b, 2007, 2009; Hollert et al. 2007, 2009a,b; Reifferscheid et al. 2005, 2009). In dieser Ausgabe soll daher in einer Beitragsreihe ein Überblick gegeben werden über moderne Ansätze und Fallstudien zur wirkungsorientierten Analytik in der aquatischen Umwelt. Die insgesamt acht Kurzbeiträge wurden anlässlich eines gemeinsamen Workshops der RWTH Aachen und der Bundesanstalt für Gewässerkunde erarbeitet (Claus et al. 2009b).

Bereits jetzt lässt sich aus dem erwiesenen ökotoxikologischen Potenzial und den resultierenden ökologischen Wirkungen schlussfolgern, dass nicht-prioritäre Schadstoffe bei der weiteren Umsetzung der EG-WRRL stärkerer Aufmerksamkeit bedürfen, wenn zentrale Ziele nicht verfehlt werden sollen (vgl. Hollert et al. 2007). Entsprechender Handlungsbedarf ergibt sich auch im Zuge prognostizierter Veränderungen in den Gewässereigenschaften, der Landnutzung und Wasserwirtschaft als Folge des globalen und des Klimawandels. Laut der deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS), die vom Bundeskabinett am 17. Dezember 2008 beschlossen wurde, wird der Bund die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie durch Forschungsaktivitäten zu methodischen Aspekten unterstützen. Insbesondere die Kombination aus wirkungsorientierter Analytik (Kombination aus Fraktionierungsmethoden, biologischen Wirktests und nachfolgenden chemischen Analysen der toxischen Teilproben) und Weight-of-Evidence-StrategienFootnote 1 kann in Zukunft zielorientiert für die Identifizierung von Schadstoffen sowie ihrer adversen Wirkungen und Quellen genutzt werden und so Hinweise für eine effiziente Ausrichtung und Fortschreibung der Bewirtschaftungspläne nach WRRL liefern. Über Weight-of-Evidence-Ansätze kann eine Überprüfung der Relevanz der Laborbefunde für die Situation im Freiland gelingen, und mittels effektdirigierter Analysen die Identifizierung der bisher unbekannten Schadstoffe mit hoher biologischer Wirksamkeit erfolgen (z. B. Brack et al. 2005a; Hollert et al. 2009b).

Um Fehlinterpretationen und falsche Prioritätensetzung zu vermeiden, sollte bei der wirkungsorientierten Analytik neben den eigentlichen Effekten auch die Bioverfügbarkeit berücksichtigt werden. Hier können einerseits Sedimentkontakttests eingesetzt werden, die a priori die Bioverfügbarkeit von sedimentgebundenen Schadstoffen mit abbilden (Ahlf et al. 2009; Feiler et al. 2005, 2009). Andererseits können milde Extraktionsverfahren (z. B. mit TENAX) und verteilungsbasierte Dosierung helfen, die Bioverfügbarkeit in der wirkungsorientierten Analytik zu berücksichtigen (Brack et al. 2009).

Obwohl in der wirkungsorientierten Analytik im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt werden konnten, wird dieser Bereich derzeit – wie die gesamte Wasserforschung – nur sehr unzureichend von den großen nationalen Förderinstitutionen wie BMBF, DFG, UBA und DBU unterstützt. Um nicht den Anschluss an die internationale Wasserforschung zu verlieren, und auch, um im Sinne der High-Tech-Strategie des BMBF und der German Waters Initiative konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Förderaktivitäten im Bereich der Wasserforschung unbedingt gestärkt werden. Eine verstärkte Förderung der wirkungsorientierten Analytik wäre auch ein aktiver Beitrag der von Schaeffer et al. (2009) geforderten dringend notwendigen Stärkung der Umweltchemie und Ökotoxikologie.